Gestern Kollege, heute Vorgesetzter

Von Jörg Löhr | Wie Sie sich auf den ersten Führungsjob vorbereiten, was Sie beachten und unbedingt vermeiden sollten

Die meisten haben lange darauf hingearbeitet. Sie freuen sich auf die neue Aufgabe und haben jede Menge gute Vorsätze im Gepäck. Wer vom Kollegen zum Vorgesetzten wird, kennt die Probleme auf der anderen Schreibtischseite. Er weiß, wie die Mitarbeiter ticken. Und will in der Regel manches besser machen als der Vorgänger oder die Vorgängerin.

Depositphotos_12002144_originalWomit neue Führungskräfte oft nicht rechnen: In seiner neuen Rolle wird der ehemalige Kollege meist noch kritischer beäugt als einer, der von außen kommt. Nicht zuletzt, weil sich der ein oder andere Mitspieler im Wettbewerb um die Führungsposition selbst gute Chancen ausgerechnet hatte.

Wer auf der Karriereleiter einen großen Schritt nach oben macht, muss die Kollegen ein Stück hinter sich lassen. Das ist nur logisch, aber in den seltensten Fällen unproblematisch. Denn wenn ihm die ehemaligen Kollegen aus Frust die Unterstützung verwehren, sieht es für den Neuchef düster aus. Dann wird die vermeintliche, neue Macht schnell zur Ohnmacht. Und die Freude über eine Beförderung währt nicht lange, weil dem frisch gebackenen Chef schon in den ersten Tagen ordentlich Wind entgegenbläst.

Und dann sind da noch die Erwartungen der eigenen Vorgesetzten, die es zu erfüllen gilt. Als neuer Chef sitzen Sie zwischen den Stühlen: Einerseits müssen Sie sich und vor allem dem Team Zeit geben, sich in den neuen Rollen zurechtzufinden, andererseits erwartet das Management rasche Erfolgsmeldungen.

Immer schön realistisch bleiben
Wer auf eine Beförderung hinarbeitet, sollte sich von Anfang an keinen allzu großen Illusionen hinzugeben. Als neuer Chef hat er mit den gleichen Problemen zu kämpfen wie der alte – und wird nur selten geschont. Eine Führungsposition bedeutet, Personalverantwortung zu übernehmen. Und hier liegt oft die Krux: Häufig wird derjenige befördert, der die besten fachlichen Voraussetzungen mitbringt. Das sagt leider nichts über gute Führungsqualitäten aus. Das wird dem ein- oder anderen jedoch erst klar, wenn er längst im neuen Büro sitzt und versonnen an alte Aufgaben zurück-denkt. Darum ist es wichtig, sich vorab ehrlich zu hinterfragen: Liegt mir die Führungsaufgabe wirklich? Oder motivieren mich nur das höhere Salär und der größere Geschäftswagen?

Wer ehrlich bereit ist, in eine anstrengende Führungsrolle zu schlüpfen, sollte sich fragen, ob er die notwendigen Skills mitbringt oder an seiner Qualifikation und Führungskompetenz noch arbeiten muss. Arbeitsrechtliches Wissen, Kenntnisse im Treffen von Zielvereinbarungen oder in der Beurteilung von Mitarbeiterleistungen sind das eine. Führungsqualitäten wie Kommunizieren, Entscheiden und Delegieren das andere. Führungskräfte müssen mit unterschiedlichen Mitarbeitermentalitäten souverän umgehen können, sie müssen glaubwürdige Vorbilder sein, sie müssen klare Ziele vorgeben und klare Entscheidungen treffen. Und sie müssen ihrem Team mit Wertschätzung begegnen, um es dauerhaft zu motivieren.

Wie Sie sich vorbereiten können
Selbstverständlich werden einschlägige Seminare für (zukünftige) Führungskräfte angeboten. Für viele ist dieses Intensivcoaching eine gute Unterstützung bei der Vorbereitung auf eine Führungsrolle. Wichtig ist aber zunächst, sich im Hinblick auf die Führungsaufgabe einige zentrale Fragen zu stellen: Was treibt mich an? Welche Werte verbinde ich mit meiner neuen Aufgabe? Und welcher Führungsstil passt zu mir? Führung kann in Unternehmen sehr unterschiedlich „gelebt“ werden, auch das gilt es zu berücksichtigen. Gibt es im Unternehmen starke Hierarchien, oder ist die neue „Führungsaufgabe“ eher informeller Art? Ist es eine neu geschaffene oder eine bereits bewährte Position?

Folgen Sie einem erfolgreichen Kollegen nach oder hatte der vorherige Chef mit großen Problemen zu kämpfen? All das gilt es auf dem Weg zum Ziel zu berücksichtigen. Und last but not least: Sind Sie bereit sich den Herausforderungen zu stellen? Auf Freizeit zu verzichten? Können und wollen Sie ehemalige Kollegen beurteilen? Halten Sie es aus, wenn es auf den Karrierestufen nach oben um Sie herum einsamer wird?

Was in den ersten Tagen wichtig ist
Experten sind überzeugt, dass die ersten Tage als Führungskraft bereits erfolgsentscheidend sind. Welpenschutz können Sie von den ehemaligen Kollegen kaum erhoffen, und auch die Geschäftsführung hat große Erwartungen: Schließlich sind Sie ja mittendrin im Thema, kennen Abläufe und Problemfelder seit Langem.

Dennoch: Geben Sie sich und dem Team Zeit, sich auf die neue Situation einzustellen. Das bedeutet aber nicht, dass Sie nicht von Anfang an bestimmte Weichen stellen können.
Als immens wichtig werten Fachleute, dass der alte Kollege und neue Vorgesetzte von Anfang an klar signalisiert, welche Ziele er verfolgt, und dass er alle im Team fair und gleich behandelt. Gerade wer privat mit einigen aus dem Kollegenkreis befreundet ist, muss von Anfang an deutlich machen: Beruflich gibt es keine Bevorzugung, kein Geklüngel. Hier werden alle gleich behandelt.

Auch wenn Führungskräfte aus den eigenen Reihen über immenses Insiderwissen verfügen und Stärken, Schwächen und Befindlichkeiten im Team schon ganz gut kennen, sollten neue Chefs die ersten Tage nutzen, um Mitarbeitergespräche unter vier Augen zu führen. Dabei sollten sie weniger über eigene Ideen und Vorsätze sprechen, sondern Fragen stellen, intensiv zuhören, Erwartungen der Mitarbeiter aufnehmen und auch etwaige Botschaften zwischen den Zeilen heraushören. Wichtig ist es, den neuen Mitarbeitern, die einmal Kollegen waren, zu vermitteln: Ich habe eine neue Position und klare Ziele, aber ich begegne dir als Mitarbeiter nach wie vor mit Respekt und Wertschätzung. Und wenn du gefördert werden willst, dann versuche ich dich nach deinen individuellen Potenzialen zu fördern.

Das Gute an jedem Neuanfang ist, dass wir es in der Hand haben, neue Standards zu setzen und neue Rituale festzulegen. Ein Jour fixe kann so ein neues Ritual sein, bei dem wöchentlich der Status von Projekten vor dem gesamten Team erläutert wird, aber auch über Themen gesprochen werden kann, die das gesamte Team betreffen. Ebenso kann eine neue Streitkultur eingeführt werden, in der Konflikte ernstgenommen und Probleme nicht einfach unter den Tisch gekehrt werden. Experten halten es zudem für einen wichtigen Schlüssel zum Erfolg, transparent zu agieren und das Team frühzeitig in Veränderungsprozesse einzubeziehen.

Was Sie unbedingt vermeiden sollten
Neue Führungskräfte haben viel zu tun – und können dabei manches falsch machen. In den ersten Gesprächen mit den ehemaligen Kollegen sollten sie sich, da sind sich Fachleute einig, in keinem Fall zu allzu großen Versprechungen hinreißen lassen. Macht die Geschäftsführung den hehren Plänen dann einen Strich durch die Rechnung, fällt die Enttäuschung umso größer aus.

Unbedingt vermeiden sollte man es, einsame Entscheidungen zu treffen, die vom Team nicht nachvollzogen werden können. Ebenso falsch ist es aber, so die Sicht der Experten, scheinbar demokratische Mehrheitsmeinungen zu verfolgen, ohne eine klare Position zu beziehen.

Auch blinder Aktionismus ist fehl am Platz. Besser ist es, erst einmal zuzuhören, das Team neu zu formen und so das Fundament für ein erfolgreiches Miteinander zu legen.
Eine Führungsposition macht auch nicht unantastbar, auch Chefs machen schließlich Fehler. Es ist eher ein Zeichen von Stärke denn von Schwäche, wenn der Chef eigene Versäumnisse und Fehleinschätzungen offen eingestehen und vor dem Team verantworten kann.

Noch ein wichtiger Tipp zum Schluss: Ob im Vorfeld, regelmäßig oder in Konfliktsituationen – ein erfahrener Coach hilft Aufsteigern dabei, in die neue Chefrolle hineinzuwachsen.

 

Zum Weiterdenken:

  • Wie schätzen Sie Ihre persönliche Führungskompetenz ein?
  • In welchen Bereichen müssen Sie noch dazulernen?
  • Wie sieht der von Ihnen favorisierte Führungsstil aus?
  • Gibt es Vorbilder, gibt es Mentoren, an denen Sie sich orientieren können?
  • Wer oder was kann Sie beim Hineinwachsen in die neue Führungsrolle noch unterstützen?

 

Bild sjenner13 depositphotos

 

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