Finanzen

Experte: Das Spiel mit dem Geld so früh wie möglich verstehen

11 Min.

21.02.2024
Experte: Das Spiel mit dem Geld so früh wie möglich verstehen
Während im Januar 2024 laut dem »Statistischen Bundesamt« ein Anstieg der Insolvenzen um 26,2 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat stattfand, scheint das Thema Finanzen in Deutschland präsenter denn je. Viele fragen sich, warum den jungen Menschen der Umgang mit Geld nicht bereits so früh wie möglich beigebracht wird – zum Beispiel schon in der Schulzeit. Das Fehlen der finanziellen Bildung scheint einer der Gründe zu sein, warum viele Menschen später Hilfe von Geldcoachs wie Ronny Wagner benötigen, die sie dabei unterstützen, ihre Einstellung zu Finanzen zu verbessern. Im Interview beantwortet er unter anderem unsere Fragen zum Thema finanzielle Bildung.
Herr Wagner, »über Geld spricht man nicht«, heißt es oft. Doch warum gibt es diese Überzeugung eigentlich und inwiefern ist ein solcher Glaubenssatz heute noch sinnvoll?

Die traditionelle Auffassung, dass man über Geld nicht spricht, ist ein Relikt vergangener Zeiten, das in der modernen Gesellschaft keinen Platz mehr finden sollte. Historisch mag es Gründe gegeben haben, warum Reichtum als persönliche Angelegenheit galt und offene Gespräche über Geld als unangebracht oder gar als Bedrohung für die soziale Ordnung angesehen wurden. Doch diese veralteten Vorstellungen halten uns in einer Zeit zurück, in der finanzielle Transparenz und Bildung entscheidend sind.

Geld zu einem Tabuthema zu machen, fördert Unwissenheit, perpetuiert Ungleichheiten und verhindert, dass Menschen eine gesunde Beziehung zu ihren Finanzen entwickeln. Es ist absurd, in einer Welt, in der Wissen Macht bedeutet, ein so wichtiges Thema wie Finanzen in den Schatten zu stellen. Offene Diskussionen über Gehalt, Investitionen und finanzielle Planung sind nicht nur notwendig, sondern sollten ermutigt werden, um finanzielle Bildung zu fördern, Tabus zu brechen und letztlich zu einer gerechteren Gesellschaft beizutragen.

Die Verschleierung von Finanzthemen begünstigt Diskriminierung und Ungerechtigkeit, indem sie es schwieriger macht, Ungleichheiten in Gehältern und Einkommen zu erkennen und anzugehen. Die Forderung nach Transparenz ist kein Aufruf zum Voyeurismus in die Finanzen anderer, sondern ein Schritt hin zu Fairness und Gleichheit. In persönlichen Beziehungen kann eine offene Kommunikation über Geld Konflikte vermeiden und eine solidere Basis für gemeinsame Zukunftsplanung schaffen.

Kurz gesagt, die Zeit, in der »Über Geld spricht man nicht« als weise Maxime galt, ist vorbei. Diese Haltung ist ein Anachronismus, der abgelegt werden muss, wenn wir als Gesellschaft vorankommen und ein Umfeld schaffen wollen, in dem finanzielle Kompetenz und Gerechtigkeit gedeihen können. Ein offener Dialog über Geld ist unerlässlich für die persönliche und gesellschaftliche Entwicklung und sollte nicht nur akzeptiert, sondern gefördert werden.

Sie selbst sind als Finanz-Mindset-Experte und Geldcoach aktiv. Aber was bedeutet das genau? Mit welchen Fragen wenden sich also Ihre Klienten an Sie und wie können Sie unterstützen?

Als Finanz-Mindset-Experte und Geldcoach liegt meine Mission darin, Menschen auf ihrem Weg zu einem gesünderen und erfüllteren finanziellen Leben zu begleiten. Ich helfe ihnen, nicht nur ihre Einstellungen und Verhaltensweisen in Bezug auf Geld zu verbessern, sondern auch das sogenannte »Geldspiel« mit all seinen Regeln zu verstehen. Dieses »Spiel« umfasst alles von der Budgetierung und Finanzplanung über den Schuldenabbau bis hin zu Investitionen und dem Setzen sowie Erreichen finanzieller Ziele.

Meine Klienten kommen mit einer Vielzahl von Fragen und Herausforderungen zu mir. Einige benötigen Unterstützung bei der Erstellung eines effektiven Budgets, das ihnen hilft, ihre Ausgaben zu kontrollieren und Sparziele zu erreichen. Andere suchen Wege, um ihre Schulden strategisch abzubauen oder wünschen sich eine grundlegende Beratung zum Thema Investitionen, um ihr Vermögen langfristig zu mehren. Ein zentrales Anliegen vieler Klienten ist auch das Bedürfnis, ihre tief verwurzelten, oft negativen Glaubenssätze über Geld zu identifizieren und zu transformieren, um eine positive und gesunde Einstellung zum Finanzmanagement zu entwickeln.

Um meine Klienten zu unterstützen, biete ich persönliches Coaching an, bei dem wir gemeinsam individuelle Strategien entwickeln, um ihre finanziellen Ziele zu klären und die Hindernisse auf ihrem Weg zu überwinden. Durch Workshops und Seminare vermittle ich essenzielles Wissen und Fähigkeiten in Bereichen wie Budgetierung, Investitionen und Schuldenmanagement. Ich stelle auch Ressourcen und Tools zur Verfügung, die sie bei der Umsetzung ihrer Finanzpläne unterstützen, und schaffe eine Umgebung der Verantwortlichkeit und Unterstützung, die es ihnen ermöglicht, motiviert zu bleiben und ihre Pläne konsequent zu verfolgen.

Ein wichtiger Aspekt meiner Arbeit ist es, meinen Klienten zu helfen, das Geldspiel mit all seinen Regeln zu verstehen. Dies bedeutet, dass sie lernen, wie das Finanzsystem funktioniert, welche Möglichkeiten es bietet und wie sie diese Möglichkeiten zu ihrem Vorteil nutzen können. Es geht darum, finanzielle Bildung zu fördern, sodass sie fundierte Entscheidungen treffen können, die zu langfristigem Wohlstand und finanzieller Sicherheit führen.

Darüber hinaus setzen Sie sich für »Finanzielle Bildung« ein. Was heißt das genau: Ab welchem Alter sollten Menschen im Umgang mit Finanzen geschult werden und von wem?

In einer Welt, in der finanzielles Wissen ebenso wichtig ist wie Lesen, Schreiben und Rechnen, ist es ein Skandal, dass finanzielle Bildung nicht längst fester Bestandteil des Schulcurriculums ist. Finanzielle Bildung sollte nicht als Option, sondern als unverzichtbare Grundlage für die persönliche Entwicklung angesehen werden. Ab dem Moment, in dem Kinder beginnen, den Wert von Geld zu verstehen, sollten sie auch lernen, wie man damit umgeht. Dies bedeutet, dass die finanzielle Bildung bereits in der Grundschule beginnen und sich durch die gesamte schulische Laufbahn eines Kindes ziehen sollte.

Es ist ein gravierender Fehler unserer Bildungssysteme, junge Menschen in die Welt zu entlassen, ausgestattet mit Wissen über Pythagoras und die Photosynthese, aber ohne die geringste Ahnung, wie man ein Budget erstellt, spart oder investiert. Während Mathematik und Naturwissenschaften zweifellos wichtig sind, werden die meisten Schüler in ihrem Leben direkter und regelmäßiger mit finanziellen Entscheidungen konfrontiert als mit der Berechnung der Hypotenuse eines Dreiecks.

Die Verantwortung für die Vermittlung finanzieller Bildung sollte nicht allein bei den Eltern liegen. Zwar spielen Eltern eine entscheidende Rolle bei der Prägung der Einstellungen ihrer Kinder zu Geld, doch nicht alle Eltern verfügen über das notwendige Wissen oder die Ressourcen, um diese Bildung angemessen zu vermitteln. Hier müssen die Schulen einspringen. Sie sind in der einzigartigen Position, jedem Kind die Grundlagen des Finanzwesens beizubringen.

Es ist höchste Zeit, dass wir aufhören, finanzielle Bildung als Luxus zu behandeln, den sich nur diejenigen leisten können, die das Glück haben, in einem Haushalt aufzuwachsen, der bereits finanziell versiert ist. Finanzielle Bildung muss ein Pflichtfach werden, das genauso ernst genommen wird wie Sprachen, Mathematik und Naturwissenschaften. Nur so können wir sicherstellen, dass die nächste Generation mit dem Rüstzeug in die Welt tritt, das sie benötigt, um finanziell unabhängig, kompetent und erfolgreich zu sein. Die Zeit für Halbmaßnahmen ist vorbei. Es ist an der Zeit, dass wir finanzielle Bildung als das anerkennen, was sie ist: eine unverzichtbare Lebenskompetenz.

Wer sein Wissen in die Praxis umsetzen will, hat oft Angst vor Verlusten. Wie sollte man Ihrer Ansicht nach damit umgehen? Gibt es bestimmte Vorgehensweisen oder Kriterien, die bei einer Anlageentscheidung helfen können?

In einer Ära finanzieller Turbulenzen und unvorhersehbarer Schwarzer Schwäne ist es ein fundamentaler Irrtum, zu glauben, dass bloßes Überleben das höchste Ziel eines Investors sein sollte. Nassim Talebs geniales Konzept der Antifragilität zerschlägt diese konservative Denkweise und fordert Investoren heraus, nicht nur Krisen zu überstehen, sondern aus ihnen gestärkt und profitabler hervorzugehen. Talebs revolutionärer Ansatz zum Portfolio-Management ist nicht nur ein Aufruf zum Handeln, sondern eine kriegsähnliche Strategie gegen die Unberechenbarkeit des Marktes. Es ist eine direkte Kampfansage an die traditionelle Finanzweisheit, die allzu oft in Passivität (Buy-and-hold) mündet, wenn die wirtschaftlichen Stürme toben.

Talebs Vorschlag für ein antifragiles Portfolio, inspiriert von den unerschütterlichen Prinzipien der alten Stoiker, lehrt uns, die Unvermeidbarkeit des Chaos zu umarmen und zu unserem Vorteil zu nutzen. Die Stoiker verstanden, dass Wachstum oft durch Widrigkeiten angeregt wird, und Taleb hat diesen Grundsatz in die moderne Finanzwelt übertragen. Indem er vorschlägt, den Großteil des Portfolios in extrem sichere Anlagen zu stecken und einen kleineren Teil aggressiv in hochriskante, aber potenziell lukrative Anlagen zu investieren, bietet Taleb eine Blaupause, wie man finanzielle Sicherheit und Wagemut perfekt ausbalanciert.

Dieser Ansatz ist eine Ode an die stoische Weisheit, die lehrt, dass wahre Stärke und Fortschritt durch die Konfrontation mit und die Anpassung an das Unvorhersehbare entstehen. Durch die Kombination aus unerschütterlicher Ruhe in Form sicherer Anlagen und dem mutigen Einsatz in spekulative, aber gewinnbringende Unternehmungen, wird das Portfolio nicht nur gegen Schocks immun, sondern auch in der Lage, von der Volatilität des Marktes zu profitieren.

Die Schaffung eines solchen antifragilen Portfolios ist ein Akt des Mutes und der Weisheit, der weit über das herkömmliche Risikomanagement hinausgeht. Es fordert Investoren auf, die Angst vor dem Unbekannten abzulegen und stattdessen eine Strategie zu verfolgen, die auf der stoischen Akzeptanz basiert, dass alles, was uns nicht umbringt, uns tatsächlich stärker macht. In der Praxis bedeutet dies, dass man bereit sein muss, die Komfortzone zu verlassen und in Bereiche zu investieren, die während wirtschaftlicher Unruhen florieren können.

Seit über dreißig Jahren widmen Sie sich beruflich den Themen Geld und Vermögensaufbau. Wie hat sich die Finanzbranche in dieser Zeit verändert und welche Auswirkungen haben die Neuerungen auf die Anleger?

Über die letzten drei Jahrzehnte hat sich die Finanzbranche in einem Ausmaß verändert, das die Grenzen zwischen revolutionärer Transformation und chaotischer Disruption verschwimmen lässt. Diese Ära des Umbruchs, geprägt von der Digitalisierung, der Globalisierung und einer nie dagewesenen Zugänglichkeit von Finanzinformationen, hat die Spielregeln für Anleger grundlegend neu geschrieben. Doch während die Tore zum Reich der Finanzen weit geöffnet wurden, hat sich der Nebel, der die Pfade des Vermögensaufbaus umhüllt, nicht gelichtet – im Gegenteil.

Die Einführung von Technologien, die den Handel und die Investition für den Durchschnittsbürger zugänglicher gemacht haben, war zweifellos ein Fortschritt. Doch mit dieser Demokratisierung der Finanzmärkte ist auch eine Flut an Informationen und Möglichkeiten über uns hereingebrochen, die sowohl segensreich als auch fluchbeladen ist. Anleger stehen nun vor der gewaltigen Herausforderung, in einem Ozean voller Daten nicht zu ertrinken und gleichzeitig die Chancen zu ergreifen, die sich ihnen bieten.

Diese neue Ära hat auch das Aufkommen von Phänomenen wie Kryptowährungen und eine Explosion der Finanzprodukte gesehen, die mit Versprechungen von hohen Renditen locken, aber auch mit einem hohen Risiko behaftet sind. Die Verführung durch solche spekulativen Investitionen hat viele dazu gebracht, die stoische Weisheit und die Lehren von Nassim Taleb über das Konzept der Antifragilität zu ignorieren. In ihrem Streben nach schnellem Reichtum vergessen viele, dass wahre finanzielle Stärke und Widerstandsfähigkeit nicht in der Jagd nach dem nächsten großen Ding liegen, sondern in der klugen Navigation durch Unsicherheit und im Aufbau eines Portfolios, das nicht nur überlebt, sondern in Zeiten der Krise gedeiht.

Die Finanzbranche hat uns mit Werkzeugen und Wissen ausgestattet, wie es sie noch nie zuvor gab, aber sie hat auch eine Landschaft geschaffen, in der die Versuchung groß ist, von dem Pfad der Vernunft abzuweichen. In dieser neuen Weltordnung der Finanzen ist es essenzieller denn je, dass Anleger die Prinzipien der Antifragilität und die stoische Akzeptanz der Volatilität als einen integralen Bestandteil des Vermögensaufbaus verstehen. Diejenigen, die lernen, die Unvorhersehbarkeit nicht nur zu akzeptieren, sondern auch zu ihrem Vorteil zu nutzen, werden die wahren Gewinner in dieser Ära der finanziellen Revolution sein.

Experte: Das Spiel mit dem Geld so früh wie möglich verstehen

Unser Gesprächspartner:

Ronny Wagner ist Geldcoach, Blogger und Geschäftsführer der »Noble Metal Factory«. Seit 2008 setzt er sich für finanzielle Bildung ein – mit dem Ziel, mehr Menschen Wohlstand, Unabhängigkeit und Sicherheit zu ermöglichen.

Bilder: Pixa Factory

LT
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