GameStop & Co.: Kurskapriolen bei Aktien werfen viele Fragen auf

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Der enorme Kursanstieg von Aktien wie GameStop wird öffentlich gerne als „Aufstand der Kleinen gegen die Großen“ gehandelt: Kleinanleger haben anscheinend in einer spontanen, aber konzertierten Aktion die Aktienwerte in die Höhe getrieben, damit Hedge-Fonds und professionelle Spekulanten das Nachsehen hatten. Eine Revolution an der Börse – quasi von unten? Eine wegweisende Entwicklung oder gar das Ende der Kapitalmärkte, wie wir sie kennen? Tatsächlich gestaltet sich die Sache vielschichtiger, als es scheint. Und es zeigt sich: Die Ereignisse sind alles andere als nur denkwürdig – sondern höchst bedenklich und teilweise gefährlich. Konsequenzen müssen – und werden – folgen. Aber der Reihe nach:

  1.  Wie ist der enorme Anstieg zustande gekommen?

Auf den ersten Blick erklärt sich dies ganz einfach, könnte man sagen: Angebot und Nachfrage bestimmen den Marktpreis. Aber man sollte genauer hinschauen: Denn neu ist es nicht, was passiert ist; es handelt sich um einen klassischen spekulativen, spätzyklischen Überschuss, wie zuvor die Tulpen-, Dotcom- und Immobilien – „Blasen“.

In der Pandemie kommen jedoch die Zutaten für die „perfekte Welle“ hinzu: Mangels anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten in ihrer Freizeit suchen die Menschen einen Zeitvertreib. Dabei greifen sie auf soziale Medien zurück, um ihr soziales Netzwerk zu pflegen. Zudem bieten Plattformen wie Robinhood und Trade Republic die Möglichkeit, sehr günstig zu handeln. An dieser Stelle werden nun die Prinzipien angewendet, die wiederum aus Videospielen wie bspw. Fortnight bekannt sind: Es entsteht quasi ein kollaboratives Multiplayer Game.

Unzählig viele Kleinanleger, so die vorherrschende Meinung, haben die Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt und sich massenhaft in sozialen Medien und Internetforen auf Aktienkäufe verständigt. Gerade im Home Office während der Lockdowns ist dafür auch mehr Zeit da. Im Blickpunkt steht eine neue Generation von Kleinanlegern, sog. „Digital Natives“, die den offenen, niedrigschwelligen Zugang zu Online-Brokern mit geringenTransaktionsgebühren nutzen, sich im Internet bei Youtube, Reddit und anderen sozialen Medien und Foren informieren und sich zu Käufen hinreißen lassen. Ganz konkret geschieht dies z.B. durch das Forum „Wallstreetbets“ der Plattform Reddit.

Sie haben es dabei Hedge-Fonds und Profi-Spekulanten nachgetan und Unternehmen ins Auge gefasst, die krisengeplagt sind oder ein Nischendasein fristen und deshalb Ziel von Spekulationen an den Kapitalmärkten wurden. Die Aktien dieser Unternehmen wurden zuvor von Hedge-Fonds ins Visier genommen, die durch „Wetten auf sinkende Aktien-Kurse“ (sog. Short Trading oder Short Selling) versuchen, hohen Profit zu erzielen.

Short Trading oder Short Selling kann allerdings auch ein nützliches Warnsignal sein, das zeigt, dass Analysten und Experten Unternehmen aufgrund der Analyse der Unternehmensdaten für überbewertet halten und den Wert ihrer Investition in das Unternehmen absichern wollen. Ein Beispiel dafür findet sich bei Wirecard, wo dieses Warnsignal ignoriert wurde. „Naked Short Selling“, also ungedeckte Leerverkäufe, wenn der Verkäufer die Aktien gar nicht besitzt, kann aber auch hoch spekulativ sein.

Doch die Kleinanleger schlugen zurück: Sie verabredeten sich zu massenhaften Käufen dieser Aktien und trieben damit den Marktgesetzen folgend die Aktienkurse hoch. So schlugen sie den Hedge-Fonds und Wallstreet-Spekulanten vermeintlich ein Schnippchen und zwangen sie dazu, ihre Spekulationen zu einem sehr hohen Preis aufzulösen (sog. „Shortsqueeze“).

Quasi wie in einem Muti-Player-Strategie-Online-Game. Das löste bei der Masse eine weitere Welle an Kurssprüngen aus – und bescherte den Kleinanlegern, die bei niedrigen Preisen eingestiegen sind, hohe Gewinne und den Hedge-Fonds Verluste.Ddenn wo Gewinner sind, gibt es auch Verlierer.

Ein Beispiel der vergangenen Tage ist die Aktie des Computerspielehändlers GamesStop. Lag diese zuvor jahrelang bei einem Wert von unter 20 Euro, stieg der Wert innerhalb relativ kurzer Zeit auf über 400 Euro; der derzeitige Kurs liegt bei ca. 60 Euro am 04.02.2021. Auch andere Aktien, teilweise von Unternehmen, die infolge der Corona-Pandemie und der Lockdowns in erhebliche Schwierigkeiten geraten sind, erfuhren einen solchen „Hype“: z. B.  die Aktien des Kinobetreibers AMC Entertainment, des US-Einzelhandelsunternehmens Bed Bath & Beyond, der Tech-Relikte Nokia und BlackBerry, des US-amerikanischen Modeunternehmens Express Inc., das infolge der erzwungenen Schließungen massive Geschäftseinbußen verzeichnet.  Auch in Deutschland ansässige Unternehmen und deren Aktien waren betroffen, bspw.Varta, und Evotec.

Was man hierbei nicht vergessen darf, ist, dass es sich nicht um ein Spiel handelt. Die Kleininvestoren, die zu hohen Kursen eingestiegen sind (bspw. bei einem Aktienkurswert von 300 Euro) werden ebenfalls viel Geld verlieren, wenn der Marktpreis wieder nach unten geht und sich keine Käufer mehr finden. Denn der Marktpreis hat sich völlig vom fundamentalen Wert der Aktien, der auf der tatsächlichen Geschäftstätigkeit der Unternehmen und ihrer Gewinne beruht, entkoppelt – langfristig kann er keinen Bestand haben.

Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, dass es auch Anzeichen gibt, dass Vertreter von Hedge-Fonds und Online Brokern sich unerkannt in die Internetforen begeben und Kleinanleger anstacheln. Es gibt sogar Stimmen, dass es gar nicht die Kleinanleger waren, die den GameStop Hype verursachten, sondern dass die Hedge-Fonds hintern allem steckten.

  1. Online Vernetzung von Kleinaktionären: Was bedeutet das künftig für die Börse?

Einige sagen, die Kapitalmärkte werden – wie auch dank Kryptowährungen wie Bitcoin – durch die Digitalisierung „demokratisiert“. Nach der „#metoo“ Bewegung, „Fridays for Future“ etc. folgt nun die amerikanische Börsen-Revolution und der Kampf gegen die Wall Street von unten.

Andere sagen, es droht der Kontrollverlust durch Wertpapierhandel außerhalb regulierter Börsen. Befeuert würde dies durch den Einfluss von Online-Brokern wie Trade Republic oder Robinhood sowie durch deren Verquickung mit Hedge-Fonds, die den Onlinebrokern hohe Provisionen zahlen.

Ironischerweise gerät gerade der Online-Broker, der sich „Robinhood“ (Robinhood Market Inc.) nennt, unter Verdacht, Kleinanleger gegenüber Hedge-Fonds und Wall-Street-Großinvestoren zu benachteiligen.

Tatsächlich liegt die Wahrheit wohl irgendwo in der Mitte. Fakt ist, die Digitalisierung fordert die Börsen, die Banken, die Politik und die Gesellschaft heraus.

Zahlreiche Gesetzesinitiativen und Verordnungen, in Brüssel (z.B. nach MiFID/MiFIR die MiCA, die „Markets im Crypto Assets Regulation“ oder das DLT Pilot Regime) und in Berlin (z.B. der Regierungsentwurf zum eWpG, dem „Gesetz zur Einführung von elektronischen Wertpapieren“), tragen der digitalen Transformation Rechnung: Neben den Chancen müssen auch die Risiken ernstgenommen werden.

Schließlich stellt das Vorgehen der Kleinaktionäre in manchen Fällen in Europa eine, wenn auch schwer beweisbare, Straftat dar. Die Regulation in Europa, hier insbesondere die Marktmissbrauchsverordnung, verbietet eine Absprache bei der Preisbildung, wenn der Zweck alleine die Manipulation des Preises ist. Konsequent wurden so bereits Preisabsprachen beim LIBOR-Skandal sanktioniert.

Die ungedeckten Leerverkäufe der Aktien von GameStop und anderen Unternehmen, gegen die die Kleinanleger mobilisiert haben, wären in Deutschland nach Art. 12 der EU-Leerverkaufs-Verordnung prinzipiell verboten, wenn nicht die dort genannten Maßnahmen zur Sicherung der Geschäftsabwicklung getroffen wurden.

Diese Frage nach der Strafbarkeit der Kleinanleger-Strategie ist allerdings nicht leicht zu beantworten und grundsätzlich im Einzelfall zu prüfen, weil der möglicherweise einschlägige Tatbestand der handelsgestützten Marktmanipulation nach § 119 Abs. 1 WpHG, Art. 12 Abs. 1 lit. a) EU-Marktmissbrauchsverordnung (MMVO) äußerst vage ist. Nach Art. 12 Abs. 1 lit. a) MMVO stellt der Abschluss eines Geschäfts, die Erteilung eines Handelsauftrags sowie jede andere Handlung eine Marktmanipulation dar, wenn damit die Aussendung von falschen oder irreführenden Signalen hinsichtlich des Angebots, der Nachfrage oder des Preises des Tatobjekts einhergeht oder dadurch ein anormales oder künstliches Kursniveau erzeugt werden kann. Wer also GameStop-Aktien nur erwirbt, um den Kurs in die Höhe zu treiben, begeht eine illegale handelsgestützte Marktmanipulation.

Allerdings wird diese nur da nachweisbar sein, wo Chatprotokolle und Diskussion zeigen, dass es nur um das In-die-Höhe-Treiben des Preises zum Nachteil anderer Marktteilnehmer ging. Somit ist der rechtliche Regulationsrahmen zwar vorhanden. Die Frage ist jedoch, ob er für diese Form des Handels einfach anwendbar ist.

  1. Gründe der Online-Kleinaktionäre?

Hinsichtlich der Handlungsgründe sollte differenziert werden. Es geht sicherlich nicht allen jungen Tradern und Kleinanlegern nur darum, auf die Schnelle Geld zu machen. Die digitale Transformation, Blockchain und Distributed Ledger Technology (DLT) haben genauso wie der GameStop-Hype auch viel mit Ideologie zu tun. Vielleicht wurden einige durch Fantasien getrieben selbst „Robin Hood“ zu spielen und den Kapitalmarkt-Tycoons etwas entgegenzusetzen. Sicherlich hat einige aber auch die gleiche Profitgier motiviert, wie Hedge-Fonds und Profi-Spekulanten sie an den Tag legen.

Für wieder andere war es ggf. eher ein Zeitvertreib oder eine Art Online Game, wo man nicht magische Gegenstände oder Coins verdienen muss, sondern sogar richtiges Geld. Das gehört in den Zeiten der Pandemie und dem enormen wirtschaftlichen Druck auf Familien und kleine Gewerbetreibende gewiss auch zur Realität, wie die Möglichkeit, dass sich Hedge-Fonds- und Online-Broker anonym in die Internetforen begeben und Kleinanleger bewusst manipulieren.

  1. Bewertung

Die Verwirrung ist groß: Wer ist gut, wer ist böse, wer ist der richtige, wer der wahre „Robin Hood“ (Robinhood). Ist das alles legal oder illegal oder eine Grauzone? Man könnte zunächst meinen, im übertragenen Sinne kämpfe David gegen Goliath. Aber auch hier ist es nicht so einfach: Es gibt tatsächlich Anzeichen, dass Vertreter von Hedge-Fonds und Online Brokern sich unerkannt in die Internetforen begeben und Kleinanleger anstacheln. Es gibt sogar Stimmen, dass es gar nicht die Kleinanleger waren, die den GameStop Hype verursachten, sondern dass die Hedge-Fonds hintern allem steckten.

Zweifelsfrei ist: Die Kursanstiege der Aktien von GameStop & Co. sind jedenfalls nicht durch die Unternehmenszahlen gerechtfertigt, es handelt sich hierbei um eine gefährliche „Blase“. Eine Korrektur wird folgen – mit rasant fallenden Kursrückgängen sollte also gerechnet werden. Die Frage ist zudem, was die selbsternannten „Robin Hoods“ mit dem gewonnenen Geld machen (möchten): es den kriselnden Unternehmen zur Sicherung von Arbeitsplätzen geben? Oder aber in Bitcoins anlegen? Womöglich heißt es aber bald auch „wie gewonnen so zerronnen“. Tatsächlich sind GameStop-Aktien aufgrund der Fundamentaldaten des Unternehmens wahrscheinlich weniger als 10 Euro wert.

Diese Tatsache wird sich irgendwann durchsetzen und dabei werden viele Akteure viel Geld verlieren. Denn: Es war die ganze Zeit über ein Nullsummenspiel. Wie auch immer: Unternehmen, gerade wenn sie infolge der Corona-Pandemie in Probleme geraten, so zum Spielball zu machen, ist weder nachhaltiges noch ethisch korrektes Verhalten. Zudem haben solche „Blasen“ im Großen schon diverse Finanzmarktkrisen der Vergangenheit ausgelöst. Durch die Entkoppelung des Aktienkurses vom tatsächlichen Wert sind Aktien von GameStop und anderen zu einem rein spekulativen Vermögenswert geworden. Die Nutzer haben in den Reddit-Foren tatsächlich ihre Absicht bekundet, die Preise bestimmter Aktien zu erhöhen, und zwar zu keinem anderen Zweck, als die Kurse hochzutreiben und die Leerverkäufer zu vertreiben. Das würde eigentlich gegen einschlägige Gesetze und Verordnungen, gerade in den USA, verstoßen.  Solche Sachverhalte wurden jedoch in der Vergangenheit nicht verfolgt.

  1. Wie können solche Szenarien zukünftig vermieden werden?

Man kann sich sicher sein, dass es nun aufgrund der resultierenden politischen Diskussion eine Reihe von rechtlichen Untersuchungen geben wird. Der Anlegerschutz muss von Brüssel und Berlin weiter gestärkt werden, gerade in Zeiten der digitalen Transformation. Gleiches gilt für die Beaufsichtigung des Wertpapierhandels. Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten:

  1. Die Nutzung von solchen riskanten Geschäften, die häufig umgangssprachlich als „Wetten“ kategorisiert werden (z. B. Aktien-Leerverkäufe, sog. Short Trading oder Short Selling; Gamma squeeze ggf. sogar mit binären Optionen; Contracts for Difference (CfDs) usw.) muss sehr stark eingeschränkt werden. Die Regulatoren könnten die Margenanforderungen für die Leerverkäufer erhöhen. Die Komplexität des Themas erfordert aber viel Umsicht. Ein gänzliches Verbot dieser Finanzinstrumente ist nicht vertretbar, dienen sie doch auch Volksbanken, Sparkassen, Handel, Industrie und Mittelstand zur Absicherung gegen Kreditausfälle sowie gegen Zins- und Währungsschwankungen. Zudem hat auch das Short Trading und -Selling durchaus seine Berechtigung, solange es auf solider Aktienanalyse beruht. Das ist durchaus regelmäßig der Fall und war z. B. im Fall Wirecard ein Warnsignal, dass der Markt das Geschäftsmodell negativ beurteilt.
  2. Kursmanipulation durch Absprache weniger ist keineswegs unbekannt, es wird landläufig als „Pump and Dump“ (dt. „aufpumpen und wegwerfen“) bezeichnet. Dies ist eine Strategie der Marktmanipulation mit gering kapitalisierten Titeln (Penny Stocks), bei denen der Preis eines vorher günstig gekauften Aktienbestandes durch falsche und irreführende positive Aussagen oder verabredeten Kauf in großen Mengen künstlich erhöht („pump“) wird, um dann zu einem höheren Preis an gutgläubige Anleger zu verkaufen, und diese verlieren ihr Geld („dump“). Neu ist hier, dass die Verabredung zum Kauf der Aktien öffentlich organisiert wird und es tausende Anleger sind, die sich am „pump“ beteiligen. Hier wird es sicherlich eine Nachschärfung der Regulation geben müssen.
  3. Zudem steht der Vorwurf im Raum, dass die Online Broker ihrerseits Marktmanipulation begangen haben, indem sie den Kauf bestimmter von Short-Selling-Attacken betroffener Aktien unterbunden und nur noch einen Verkauf dieser Wertpapiere zugelassen haben. Dies wird ebenfalls regulatorisch bewertet werden müssen, auch unter dem Aspekt des Verbraucherschutzes für die Kleinanleger, die nur auf den Zug aufgesprungen sind.
  4. Schließlich wird das Geschäftsmodell von Online Brokern insgesamt auf den Prüfstand gestellt werden. Es stehen Vorwürfe im Raum, dass, um die geringen Handelskosten für die Kunden zu ermöglichen, deren Handelsmuster an institutionelle Investoren weitergegeben werden und dass diese und/oder die Broker selber zu Lasten der Kunden Front Running und damit strafbaren Insiderhandel betrieben.

Hierzu muss man aber von der Stufe der Vermutungen und generellen Vorwürfe zu einem besseren Verständnis kommen. Es kann hier nur erst einmal Bewertungen des Einzelfalls geben, die dann ggf. geahndet werden und schließlich zu einer neuen, robusteren Regulation führen.

Aber auf den Punkt gebracht muss vor allem eines sichergestellt sein: Dass Angebot und Nachfrage weiterhin den Marktpreis bestimmen.

Autor: Frank Thole, Partner WEPEX Unternehmensberatung

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