Griechenland hat einige hochinnovative Unternehmen im IT-Bereich und im Pharma- und Energiesektor sowie eine unglaublich große Zahl an herausragenden Wissenschaftlern, von denen allerdings 85 Prozent im Ausland arbeiten. Was zum Ausbau seiner Exportindustrie fehlt, ist die Vernetzung von Wirtschaft, Wissenschaft und öffentlicher Verwaltung und eine anwendungsorientierte Forschung, die problem- und produktnahe Lösungen liefert. Zu diesem Ergebnis kommt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) in seinem aktuellen Wochenbericht. „Griechenland muss anfangen, sein großes Forschungspotential besser zu nutzen und mit seiner Industrie zu verknüpfen“, sagt DIW-Forschungsdirektor Alexander Kritikos. „Denn die von der Troika auferlegten Reformen haben zwar die Arbeitskosten massiv gesenkt, sind jedoch alleine nicht ausreichend, um Griechenland auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu bringen.“
Die Struktur der griechischen Wirtschaft unterscheidet sich stark von der Wirtschaftsstruktur anderer Länder im Euroraum. Vorherrschend sind vor allem kleine Betriebe in wenig innovativen Branchen mit geringer Wertschöpfungstiefe wie der Tourismus und die Produktion von Nahrungsmitteln und Getränken. Selbst im verarbeitenden Gewerbe arbeitet die Mehrzahl der Angestellten in Betrieben mit bis zu neun Mitarbeitern. Anders als vergleichbare Euro-Länder wie etwa Belgien, Österreich, die Niederlande oder Finnland ist Griechenland keine innovationsgetriebene Ökonomie, weil es nicht wie diese jährlich drei Prozent und mehr, sondern lediglich 0,67 seines Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung investiert.
„Dabei weist Griechenland“, so Kritikos, „einige kaum bekannte Stärken auf, die für den Aufbau eines Innovationssystems von Bedeutung sind.“ So erzielen die wenigen vorhandenen Forschungsinstitute sehr gute Ergebnisse in der Grundlagenforschung. Und es gibt eine viel größere Zahl herausragender griechischer Forscher, die in der ganzen Welt, nur nicht in Griechenland arbeiten: Der weltweite Anteil griechischer Spitzenforscher liegt bei über drei Prozent, obwohl die Griechen einen Anteil von nicht einmal 0,2 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Auch bei der Bewilligung von Forschungsprojekten durch das European Research Council (sogenannte ERC-Grants) liegen die Griechen auf den vordersten Plätzen, wenn die Zahl der Projekte mit der griechischen Bevölkerung ins Verhältnis gesetzt wird.
Was kann Griechenland tun, um den Brain Drain zu stoppen und sich in eine Innovationsökonomie zu transformieren? DIW-Experte Alexander Kritikos schlägt neben attraktiven Arbeitsbedingungen für Forscher den Ausbau der Forschungslandschaft basierend auf den bereits bestehenden Spezialisierungen vor; vorrangiges Ziel sollte dabei der Wissenstransfer in die Unternehmen sein. Auch bei der Bildung von Forschungsclustern sollten die Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft und der fließende Übergang von Forschungsideen zu neuen Produktentwicklungen im Vordergrund stehen. Unterstützt werden kann dies durch eine geografische Neuausrichtung der verstreut existierenden Forschungsinstitute und durch die Ansiedlung von Unternehmen in deren unmittelbarer Nähe. Der massive Abbau der Bürokratie für Unternehmen ist ein weiterer wesentlicher Schritt – und zwar nicht nur für Gründungen, sondern vor allem auch für den laufenden Betrieb und die Berichtspflichten. Darüber hinaus müssen die Kommunen durch eigene Budgets und mehr Entscheidungshoheit Anreize erhalten, eine aktive Ansiedlungspolitik zu betreiben. „Die Gespräche zwischen der Troika und Griechenland sollten sich in Zukunft auf die Potentiale Griechenlands konzentrieren, wenn die Troika nächstes Jahr noch im Land sein sollte“, sagt Alexander Kritikos. „Mit den Mitteln des EU-Rahmenprogramms Horizon 2020 und den Strukturfonds kann die griechische Regierung die Kapazitäten in der griechischen Forschungslandschaft aufbauen und gleichzeitig die derzeit nicht vorhandene Zustimmung der griechischen Bevölkerung für den weiterhin notwendigen Reformprozess gewinnen. Für eine solche Innovationsstrategie bedarf es allerdings auch eines visionären griechischen Politikers.“
Quelle: DIW Berlin, Bild vkorost depositphotos 24.09.2014