Der deutsche Mittelstand steht vor einem epochalen Wandel. Der Fachkräftemangel, digitale Innovationen und junge Generationen fordern Unternehmen heraus, sich strategisch neu auszurichten und flexibel auf die sich ständig verändernden Bedingungen zu reagieren. Doch diese Herausforderungen allein als Hindernisse zu betrachten, wäre zu kurz gegriffen – davon ist Tobias Bobka, Managing Partner der BOBKA Mittelstandsberatung, überzeugt. Seit über einem Jahrzehnt begleitet er Geschäftsführer und Unternehmer dabei, Veränderungen in Unternehmensprozessen zu etablieren. Mit uns hat er über die Chance gesprochen, so die Innovationskraft zu entfesseln, Unternehmenskulturen neu zu denken und die Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu sichern.
Herr Bobka, Fachkräftemangel, Bürokratie oder Digitalisierung: Was sind die Ihrer Meinung nach drängendsten Herausforderungen, vor denen der Mittelstand derzeit steht?
Unser deutscher Mittelstand befindet sich in einem faszinierenden Paradigmenwechsel, der die gesamte Wirtschaftslandschaft neu definiert. Denken Sie an den Fachkräftemangel – er ist weit mehr als nur ein Symptom fehlender Talente! Er offenbart tiefgreifende strukturelle Defizite in unserem Bildungssystem, der Arbeitsmarktdynamik und der Arbeitgeberattraktivität. Wissenschaftlich fundiert belegt ist inzwischen, dass Unternehmen mit einer inspirierenden Unternehmenskultur und klaren Entwicklungsperspektiven deutlich erfolgreicher bei der Talentgewinnung und -bindung sind.
Die Innovationskraft vieler mittelständischer Unternehmen wird nachweislich und weiter zunehmend durch ein engmaschiges Netz bürokratischer Anforderungen ausgebremst. Komplexe Regelungen im Steuerrecht, verbunden mit zeitintensiven Nachweispflichten, und die oft wenig transparente Handhabung von Förderprogrammen erschweren es Unternehmern, notwendige Ressourcen in zukunftsgerichtete Projekte zu investieren.
Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Digitalisierung, einst als reines Effizienzwerkzeug betrachtet, transformiert heute ganze Geschäftsmodelle, Kundenerwartungen und Branchen von Grund auf. In diesem Kontext gewinnt Charles Darwins Einsicht eine ganz neue Bedeutung: »Es ist nicht die stärkste Spezies, die überlebt, sondern diejenige, die sich am besten an Veränderungen anpasst.« Unternehmen, die Digitalisierung nicht als isolierte IT-Maßnahme betrachten, sondern als integralen Bestandteil ihrer Strategie begreifen, schaffen echte Wettbewerbsvorteile – sei es durch datengetriebene Geschäftsmodelle oder personalisierte Kundenerlebnisse.
Besonders spannend finde ich die Erkenntnisse aktueller ESG-Studien: Sie belegen eindrucksvoll, dass nachhaltige Geschäftsmodelle nicht nur ökologische Aspekte bedienen, sondern auch die Rentabilität und Kreditwürdigkeit signifikant verbessern. Der Mittelstand steht vor der faszinierenden Aufgabe, diese Herausforderungen ganzheitlich anzugehen und sich strategisch, kulturell und operativ neu zu justieren. Nur so kann er seine Zukunftsfähigkeit sichern und neue Maßstäbe setzen.
Was braucht es, damit ein Team in unsicheren Zeiten optimal funktioniert? Welchen Stellenwert nehmen die Unternehmenskultur und das Zusammenspiel der Mitarbeiter in Umbruchsituation überhaupt ein?
In Zeiten der Unsicherheit ist die Stabilität eines Teams von unschätzbarem Wert – und diese Stabilität fußt auf zwei Säulen: Vertrauen und Orientierung. Faszinierend ist hier der Blick auf wissenschaftliche Modelle wie das von Bruce Tuckman, bekannt als »Forming, Storming, Norming, Performing«. Es zeigt eindrucksvoll, wie Teams klare Strukturen und Ziele, wie auch die notwendige Führung, benötigen, um ihre volle Leistungsfähigkeit zu entfalten.
Besonders in Umbruchsituationen entpuppt sich die Unternehmenskultur als der entscheidende Faktor. Sie ist das Fundament, auf dem Entscheidungen getroffen, Konflikte gelöst und Innovationen geboren werden. Eine Kultur der Offenheit und des gegenseitigen Respekts ermöglicht es, selbst in turbulenten Zeiten handlungsfähig zu bleiben.
Hier kommen die Führungskräfte ins Spiel: Sie müssen als »Transformational Leaders« agieren – ein Konzept, das auf die bahnbrechende Forschung von Bass und Avolio zurückgeht. Diese Art der Führung inspiriert durch eine klare Vision, fördert individuelle Stärken und schafft ein Umfeld, das Teamarbeit und Eigenverantwortung gleichermaßen unterstützt. Ein Schlüsselelement in diesem Prozess ist transparente Kommunikation. Mitarbeiter müssen nicht nur das »Wohin« verstehen, sondern auch das »Warum« hinter Entscheidungen. Indem Führungskräfte Betroffene frühzeitig zu Beteiligten machen, reduzieren sie nicht nur Widerstände, sondern erhöhen auch die Identifikation mit den Unternehmenszielen. Es ist faszinierend zu beobachten, wie Unternehmen, die auf diese Weise eine starke Kultur und ein engagiertes Team aufbauen, Unsicherheiten nicht nur besser bewältigen, sondern regelrecht als Katalysator für Wachstum nutzen.
Welche typischen Fehler gilt es hingegen zu vermeiden – und wie können sich Führungskräfte die notwendigen Skills aneignen?
In Umbruchsituationen offenbart sich tatsächlich oft ein faszinierendes Phänomen: Führungskräfte neigen sehr häufig dazu, in altbewährten Denkmustern zu verharren, anstatt flexibel auf neue Herausforderungen zu reagieren. Ein klassischer Fehler ist die Fokussierung auf kurzfristige Maßnahmen wie radikale Kostensenkungen. Diese versprechen zwar schnelle Erfolge, schwächen aber langfristig oft wertvolle Ressourcen – insbesondere im Vertrieb oder der Produktentwicklung.
Ebenso gravierend ist eine unzureichende Kommunikation. Studien im Bereich Change-Management belegen eindrucksvoll, dass Transformationsprojekte immer dann besonders häufig scheitern, wenn Führungskräfte es versäumen, ihre Teams frühzeitig einzubinden und eine klare Vision zu vermitteln.
Besonders interessant ist der sogenannte »Overconfidence Bias«: Dabei Führungskräfte überschätzen oft ihre Fähigkeit, komplexe Herausforderungen allein zu bewältigen. Sie ziehen externe Expertise oder die Perspektive der Belegschaft zu spät hinzu. Die bahnbrechenden Erkenntnisse von Daniel Kahneman zur Entscheidungspsychologie unterstreichen, wie entscheidend es ist, solche kognitiven Verzerrungen zu erkennen und durch strukturierte Entscheidungsprozesse auszugleichen.
Um die notwendigen Skills zu entwickeln, empfehle ich Führungskräften einen dreidimensionalen, erfolgserprobten Ansatz:
1. Fundierte Weiterbildung in strategischen Methoden wie der OKR-Methode (Objectives and Key Results) oder der Szenario-Planung. Diese Techniken helfen, Komplexität zu reduzieren und klare Prioritäten zu setzen.
2. Stärkung der sozialen und emotionalen Kompetenzen. Empathie und die Fähigkeit, in Krisensituationen Vertrauen aufzubauen, sind genauso wichtig wie Fachwissen.
3. Regelmäßiges Sparring mit externen Beratern oder Mentoren. Sie können blinde Flecken aufzeigen und wertvolle alternative Perspektiven einbringen.
Zudem empfehle ich Führungskräften, eine Kultur des »Growth Mindset« zu fördern, wie sie von Carol Dweck beschrieben wird. Die damit einhergehende Führungshaltung ermutigt das eigene Team, in Fehlern Lernchancen zu erkennen und flexibel auf Veränderungen zu reagieren. Letztendlich ist Führung in unsicheren Zeiten eine faszinierende Mischung aus methodischer Klarheit, emotionaler Intelligenz und dem Mut, neue Wege zu gehen. Diese Balance erfordert die ständige Reflexion und persönliche Weiterentwicklung – ein lebenslanger Lernprozess, der nicht nur herausfordernd, sondern auch ungemein bereichernd ist.
Seit 13 Jahren beraten Sie mittelständische Unternehmen; auch im Hinblick auf den Vertrieb. Wie hat sich der Vertrieb in dieser Zeit verändert und wie bewerten Sie die Entwicklung?
Die Transformation des Vertriebs in den letzten 13 Jahren ist nichts weniger als faszinierend. Wir haben einen Paradigmenwechsel erlebt, der von technologischen, kulturellen und wirtschaftlichen Umwälzungen geprägt ist. Denken wir mal zurück: Früher dominierten der persönliche Kontakt und die klassische Außendienststruktur. Heute stehen datenbasierte Prozesse und die nahtlose Integration digitaler Kanäle im Fokus.
Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft offenbart ein besonders interessantes Phänomen: Kunden durchlaufen mittlerweile bis zu 70 Prozent ihrer Customer Journey digital, bevor sie überhaupt in direkten Kontakt mit einem Vertriebsmitarbeiter treten. Diese Entwicklung hat die Anforderungen an Vertriebsorganisationen fundamental verändert. Informationen müssen jetzt schneller, präziser und individueller bereitgestellt werden – eine echte Herausforderung für viele Unternehmen.
Parallel dazu hat sich die Erwartungshaltung der Kunden radikal gewandelt. Sie suchen nicht mehr nur nach qualitativ hochwertigen Produkten, sondern nach maßgeschneiderten Lösungen, die ihre spezifischen Probleme adressieren. Diese Verschiebung hat den Vertrieb von einer primär operativen zu einer strategischen Funktion aufgewertet, die maßgeblich den Unternehmenserfolg beeinflusst.
On top dazu verschärft die Globalisierung den Wettbewerbsdruck, insbesondere für mittelständische Unternehmen. Sie müssen sich jetzt gegen digitale Plattformen und global agierende Konzerne behaupten – eine Herausforderung, die völlig neue Strategien erfordert!
Doch die Veränderungen gehen noch tiefer: Der technologische Fortschritt, insbesondere durch künstliche Intelligenz, ermöglicht es, Vertriebsdaten in Echtzeit zu analysieren und Verkaufsstrategien dynamisch anzupassen. Trotz all dieser digitalen Innovationen bleibt der persönliche Kontakt im Mittelstand der entscheidender Faktor, besonders in sensiblen Märkten wie dem Maschinenbau oder bei komplexen Dienstleistungen. Hier machen Vertrauen und langfristige Beziehungen noch immer den entscheidenden Unterschied.
Die große Herausforderung für den Mittelstand besteht heute vor allem darin, traditionelle Stärken wie persönliche Kundenbindung mit modernen, datengetriebenen Ansätzen zu verknüpfen. Diese hybride Vertriebsstrategie stellt hohe Anforderungen an die Organisation, bietet jedoch enorme Potenziale, um sich in einem zunehmend fragmentierten Markt zu behaupten.
Die Entwicklung, die ich in den letzten 13 Jahren hautnah miterleben und gestalten durfte, ist schlichtweg bemerkenswert. Sie hat nicht nur den Vertrieb, sondern ganze Geschäftsmodelle transformiert. Das ist es, was mich bis heute als Sparringspartner und Berater vieler Geschäftsführer im Mittelstand fasziniert. Ich liebe es, Chancen auszuloten, an die noch keiner denkt und an der Seite die gemeinsamen Vorhaben voranzutreiben, damit immer dem Wettbewerb den entscheidenden Schritt vorauszueilen.
Welche Ansätze sind Ihrer Meinung nach essenziell, um den Vertrieb fit für die Zukunft zu machen? Welche weiteren Entwicklungen sollten Mittelständler im Auge behalten, damit ihr Unternehmen wettbewerbsfähig bleibt?
Die Zukunftsfähigkeit des Vertriebs erfordert eine, aus meiner persönlichen Sicht, faszinierende Neuausrichtung, die sowohl technologische Innovationen als auch tiefgreifende kulturelle Veränderungen berücksichtigt. Lassen Sie mich Ihnen die sieben essenziellen Ansätze skizzieren:
1. Der Aufbau eines konsequent datengetriebenen Vertriebs ist unerlässlich. Eine aktuelle Studie von McKinsey zeigt ein beeindruckendes Potenzial: Unternehmen, die systematisch Daten analysieren und für Vertriebsentscheidungen nutzen, können ihre Abschlussraten um bis zu 20 Prozent steigern. Die wahre Kunst liegt in der Fähigkeit, diese Daten sinnvoll zu interpretieren und in konkrete, wertschöpfende Maßnahmen umzusetzen.
2. Die Integration hybrider Verkaufsstrategien wird mehr denn je zum Schlüsselfaktor. Kunden erwarten heute eine nahtlose Erfahrung über alle Kanäle hinweg – von der ersten digitalen Recherche bis zum persönlichen Gespräch. Für den Mittelstand bedeutet das, Vertriebsorganisationen so aufzustellen, dass digitale und persönliche Kanäle nicht nebeneinander existieren, sondern synergetisch zusammenwirken. Dies erfordert eine enge Verzahnung von Vertrieb, Marketing und Kundenservice sowie die Ausbildung von Vertriebsmitarbeitern, die sowohl technische Kompetenzen als auch emotionale Intelligenz mitbringen.
3. Nachhaltigkeit entwickelt sich zu einem immer wichtigeren Wettbewerbsfaktor. ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) beeinflussen nicht nur Investorenentscheidungen, sondern zunehmend auch die Kaufentscheidungen vieler Kunden. Ein zukunftsfitter Vertrieb muss daher in der Lage sein, die Nachhaltigkeitsstrategien des Unternehmens glaubhaft zu kommunizieren und aktiv in den Verkaufsprozess einzubinden.
4. Die Künstliche Intelligenz (KI) wird den Vertrieb weiter revolutionieren. Predictive Analytics ermöglichen es, Kundenverhalten vorherzusagen und Verkaufschancen präziser zu identifizieren. Chatbots und virtuelle Assistenten werden zunehmend den Erstkontakt und einfache Kundenanfragen übernehmen, was den menschlichen Vertriebsmitarbeitern erlaubt, sich auf komplexere, wertschöpfende Aufgaben zu konzentrieren.
5. Die Personalisierung erreicht neue Dimensionen. Dank fortschrittlicher Datenanalyse können Unternehmen inzwischen maßgeschneiderte Angebote in Echtzeit erstellen. Dies erfordert eine nahtlose Integration von Marketing, Vertrieb und Kundenservice bei gleichzeitiger operativer Exzellenz im Tagesgeschäft – ein Spagat, bei dem sich viele Mittelständler zugegeben noch schwertun.
6. Subscription-basierte Geschäftsmodelle gewinnen an Bedeutung, selbst in traditionellen B2B-Bereichen. Dies verändert nicht nur Umsatzströme, sondern auch die Kundenbeziehung grundlegend. Vertriebsteams müssen lernen, den Kundenerfolg langfristig zu managen, statt sich auf einmalige Verkäufe zu konzentrieren.
7. Der Aufbau von Ökosystemen und Plattformen wird immer wichtiger. Mittelständler müssen heute entscheiden, was morgen schon über Ihren Erfolg entscheidet – zum Beispiel, ob sie eigene Plattformen entwickeln oder sich strategisch in bestehende Ökosysteme integrieren wollen. Dies erfordert oft eine Neujustierung der Vertriebsstrategie und -kompetenzen.
Unser Gesprächspartner:
Tobias Bobka ist Managing Partner der BOBKA Mittelstandsberatung.
Hier ist der Umsetzungsprofi – wie er von seinen Kunden bezeichnet wird – als Berater, Trainer und Interim-Lotse tätig.