„Der Zeitplan für Großbritannien und die EU, um ein Freihandelsabkommen auszuhandeln, ist extrem ambitioniert und bis 2021 oder auch 2023 eigentlich nicht zu schaffen. Die große Unsicherheit, was der Brexit am Ende wirklich für die Beziehungen und vor allem die Unternehmen beider Volkswirtschaften bedeutet, bleibt also bestehen. Großbritannien ist in einer guten Verhandlungsposition gegenüber der EU. Besonders schwer aus EU-Sicht wiegt, dass sie ohne eine enge Anbindung Großbritanniens im neuen Systemwettbewerb zwischen den USA und China als geschwächter Dritter dasteht und erhebliche Verhandlungsmacht verliert.
Das ökonomische Gewicht der Briten entspricht dem der 19 kleinsten EU-Mitglieder zusammen. Die EU muss daher alles daran setzen, Großbritannien im Binnenmarkt zu halten, denn der Zugang dazu ist ihr stärkster Trumpf in internationalen Verhandlungen. Dafür muss sie auch bereit sein, ihr Dogma der Untrennbarkeit der vier Grundfreiheiten – freier Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr sowie die Personenfreizügigkeit – aufzugeben. Je größer der Binnenmarkt, desto stärker die europäische Stimme in der Welt.
Außerdem hat das Königreich eine überzeugende Niedrigzollstrategie für den Fall eines No-Deal vorgelegt, ohnehin exportiert das Land vor allem Dienstleistungen, auf die keine Zölle erhoben werden. Der ökonomische Schaden eines No-Deal wäre auf beiden Seiten prozentual ungefähr gleich, und Großbritannien würde wirtschaftlich kaum stärker darunter leiden als die EU. Außerdem ist davon auszugehen, dass Großbritannien über ein Freihandelsabkommen mit den USA sowie weitere Deregulierungen und Steuersenkungen zusätzlichen Verhandlungsdruck gegenüber der EU aufbauen wird.“
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