Finanzen

„Die Geldanlage wird demokratisiert“ – Interview mit Marc Bettinger

7 Min.

22.03.2016
geldanlage

Das nachfolgende Interview erschien zuerst auf P2P Investment.
Marc Bettinger, Jahrgang 1981, ist als Lombard Consultant bei der Credit Suisse in Zürich beschäftigt. Der deutschstämmige Hobbyautor engagiert sich seit 2013 bei verschiedenen Kryptowährungen und bloggt auch gelegentlich über diese Thematik. Marc Bettinger ist diplomierter Bankbetriebswirt sowie Certified International Investment Analyst (CIIA). Mit P2P Investment sprach er über Fintechs, P2P-Kredite und die Evolution der Finanzbranche.

„P2P Banking bewegt die Branche“

Herr Bettinger, Fintech ist in aller Munde. Eine große Welle der Veränderungen rollt auf die Finanzbranche zu. So scheint es zumindest. Wie sehen Sie persönlich die Rolle all dieser neuen Startups und die daraus resultierenden Möglichkeiten zur Geldanlage?

Sie haben ganz Recht. Fintech hat in den letzten Jahren die Branche sehr bewegt. Dies lässt sich zweifellos auch an der gestiegenen Medienberichterstattung feststellen. Aktuell zum Beispiel ist die Blockchain in aller Munde, also die technische Grundlage von Bitcoin. Der Blockchain hat das Potential viele Prozesse bei Banken zu verschlanken und sicherer zu machen. Viele Transaktionen und Prozesse könnten direkt auf die Blockchain umgestellt werden. Selbst Neuemissionen bei Wertpapieren oder weltweite Überweisungen über den SWIFT-Standard könnten auf Blockchain-Basis abgewickelt werden. Aber auch andere Fintech-Themen bewegen die Branche wie zum Beispiel Robobanking oder aber P2P-Banking. Im Moment sind es aber eher die Themen, welche die Branche bewegen, nicht die oft sehr kleinen Startups selbst. Meine aktuelle Einschätzung ist, dass die neuen Konzepte über Zukäufe und anschließende Integration in den bestehenden Finanzsektor integriert werden. Nehmen wir das Beispiel Bank of America, welche bereits 20 Patente auf die Blockchain-Technologie angemeldet hat. Die neuen Ideen werden also in das bereits vorhandene Finanzsystem integriert.

Können Sie ein paar der wichtigsten Patente nennen? Wie werden sie konkret von der Bank of America eingesetzt?

Die Bank ist hier umfassend vorgegangen und hat für nahezu jede vorhandene Funktion von Bitcoin ein Patent eingereicht. Dazu gehört zum Beispiel das sogenannte Hot Wallet um Bitcoin zu halten, die Kontrolle über die Private Keys, das Splitting von Private Keys, Instant Exchange oder auch Transaktionen über die Blockchain. Momentan kann noch nicht genau erklärt werden, was die Bank mit den Patenten macht. Bei Bitcoin Core handelt es sich um Open Source Software, die normalerweise jedem offen steht. Ich vermute, dass sich die Patentierung weniger gegen den Bitcoin selbst richtet, da Regressforderungen an keine direkte Adresse gestellt werden können (Satoshi ist ein Phantom), sondern eher gegen die anderen Banken und Fintech-Dienstleister, welche die Blockchain-Technologie für neue Geschäftsmodelle benutzen wollen und dafür eigene Blockchain-Systeme aufbauen, welche völlig unabhängig vom Bitcoin sind.

Die Geldanlage per P2P-Kredit ist ein besonders stark wachsender Sektor innerhalb der großen Fintech-Szene. Wird das Kreditgeschäft im Internet zur ernsthaften Konkurrenz für die etablierten Geschäftsbanken?

Der P2P-Kreditmarkt ist in der Tat stark gewachsen. Es darf dabei aber aktuell nicht vergessen werden, dass die aktuelle Null-Zinspolitik der Zentralbanken dafür sorgt, dass die Zinskonditionen der klassischen Banken äußerst günstig sind. Selbst die Ratenkredite ohne Sicherheiten kosten oft nur noch um die 5 Prozent und weniger. Zudem sorgt die strenge Regulierung dafür, dass es nicht sehr leicht ist offiziell ein P2P-Geschäftsmodell innerhalb der EU aufzuziehen. Wo P2P wirklich eine große Nische aufgestoßen hat, ist bei Kreditgewährung ohne erwiesene Kapitaldienstfähigkeit beziehungsweise ohne anerkannte Sicherheiten. Es darf hierbei aber nicht vergessen werden, dass die Ausfallraten bei dieser Art Krediten einen gewissen Prozentsatz aufweisen. Für den Kapitalgeber ist das Ganze dann schon mit Risiken verbunden, da ich prinzipiell beobachte, dass alternative Kapitalbeschaffungsformen wie P2P-Kredite eher von Personen nachgefragt werden, denen die Geschäftsbanken keine Kredite gewährt haben. Es kommt hier also zu einer gewissen Negativselektion.

Ein guter Punkt. Worauf sollten Anleger bei der Wahl eines Kreditprojekts achten, wenn sie sich für eine Geldanlage per P2P-Kredit entscheiden?

Generell gilt die alte Bauernregel: Nicht alle Eier in einen Korb, daher Risikostreuung des Anlagekapitals in möglichst viele unterschiedliche Kreditprojekte. Um ein Gefühl für den Markt zu bekommen, empfehle ich zudem Anfangs auf Hilfstools wie den Portfolio Builder oder ähnliche Automatisierungswerkzeuge zu verzichten um selbst Erfahrung aufzubauen. Zentral für mich ist auch das Thema Sicherheiten: Ist ein Kredit durch eine werthaltige Sicherheit (zum Beispiel durch ein Auto) gedeckt, ist die Ausfallwahrscheinlichkeit viel geringer. Achten Sie auf die Rahmendaten des Kreditnehmers, zum Beispiel ob ein Arbeitsplatz (Arbeitgeberrückfrage) vorhanden ist und wie es insgesamt mit der Kapitaldienstfähigkeit aussieht. Auch der Verwendungszweck ist wichtig, so ist eine Kreditablösung in meinen Augen riskanter als zum Beispiel eine Anschaffung oder Renovierung. Zudem würde ich bei Kreditprojekten an Privatpersonen ohne vorhandener positiver Schufa-Auskunft nicht investieren.

„Noch hat es die Geldanlage per P2P-Kredit schwer“

Noch sind Plattformen wie auxmoney und Lendico gesetzlich zur Zusammenarbeit mit Banken verpflichtet. Ist dies ein Hemmschuh? Wäre mehr drin für die Geldanlage von Privatanlegern, wenn solche Regulierungen aufgehoben werden würden?

Sie haben Recht, die sehr strenge Regulierung sorgt innerhalb der Branche dafür, dass sich die alternativen Modelle der Geldanlage nur schwer entwickeln konnten. Zudem führt die Regulierung regelmäßig zu einer großen Zeitspanne zwischen Kreditantrag und Auszahlung. Ich sehe allerdings nicht, dass dies in Zukunft leichter werden wird, da ich innerhalb der EU von eher noch strengeren Regulierungsvorschriften in der Finanzbranche ausgehe. Dies hat auch dazu geführt, dass der Graue Kapitalmarkt stark gewachsen ist. Was wir ebenfalls sehen ist eine Zunahme des völlig unregulierten Marktes bei Bitcoin-Kredittransaktionen, wie zum Beispiel bei bitbond.com

Was ist der Graue Kapitalmarkt genau? Unterscheidet er sich von den P2P Investment-Plattformen?
Ein Grauer Kapitalmarkt ist unreguliert, das heißt er wird durch die Finanzaufsicht oder staatlichen Regulierungen nicht abgedeckt. Das ist nicht zwangsweise illegal, aber Anleger gehen im Schadensfall meist völlig leer aus. Typisch für den Grauen Kapitalmarkt sind reine Internetangebote bei einem ausländischen Anbieter oder die Vermarktung über Cold Calls, also ungebetene Telefonanrufe. Im Gegensatz dazu sind die bekannten Plattformen für die P2P-Geldanlage wie auxmoney oder Lendico völlig legal, auch wegen der verplichtenden Zusammenarbeit mit einer Bank. Die Finanzaufsicht ist also immer mit dabei. So sieht auch die sonst so kritische Stiftung Wartentest in auxmoney eine Alternative zur Bank.
Hätten auch Anleger Vorteile von der weitergehenden Liberalisierung des Kreditmarktes?

Ich denke die Vorteile würden die Nachteile deutlich überwiegen. Wir hätten mehr Anbieter, wodurch sich durch den höheren Wettbewerb auch niedrigere Preise für P2P-Kredite realisieren ließen. Die aktuelle Regulierungsdichte bevorzugt klar die Großbanken, welche durch die vorhandene Größe eher die vielfachen gesetzlichen Anforderungen erfüllen können.

„Die Geldanlage wird demokratisiert“

Ein bisschen Science-Fiction zum Abschluss: Was können wir von Fintechs und insbesondere von den P2P Investment-Plattformen in Zukunft noch erwarten?

Es ist in der Tat so, dass die verschiedenen Fintech-Ansätze durchaus das Potential haben, die Finanzbranche komplett zu revolutionieren. Dies fängt bei der Blockchain-Technologie an, die von der Börsenemission, über den Kontoauszug bis zu Transaktionen, nahezu jeden Bereich bei Banken abdecken kann – und weit darüber hinaus, wie bei Grundbüchern, Zertifizierungen, Patenten oder selbst Krankenkassen. Das P2P Lending kann auch im Zusammenhang mit Social Lending zu einem völlig unabhängigen Kreditmarkt führen, welcher auch zu einer Demokratisierung des Prozesses der Geldanlage führt. Robobanking kann den Portfoliomanager überflüssig machen und damit Anlagelösungen für Kunden möglich machen, die bisher nur in Retail-Banking-Produkte investieren konnten. Bei Zahlungsprozessen sehe ich durchaus das Potential, dass eine Kryptowährung zukünftig großflächig als Zahlungsmittel eingesetzt und akzeptiert werden könnte. Dabei wird die Finanzbranche aber versuchen unabhängige Lösungen wie den Bitcoin durch selbst entwickelte und kontrollierte Lösungen zu verdrängen.

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