»KPIs sind die Vitalwerte des Unternehmens«

»KPI sind die Vitalwerte des Unternehmens« Bild: Ulvi Aydin

Ein guter Unternehmer hat seine KPIs stets im Blick, um schnell reagieren zu können. Diesen Rat gibt Interim Manager und Coach Ulvi Aydin allen Unternehmern, die langfristig Erfolg haben wollen. Er kennt viele Managements und Entscheidungsebenen von innen und weiß, dass eine solide Interpretation der KPI und entsprechende Handlungen meist zum Tod des Unternehmens führt. In unserem Interview plädiert er dafür, jeden Tag die Zahlen zu prüfen und erklärt was passiert, wenn man es nicht tut. 

Ulvi, du hast Einblicke in zahlreiche Unternehmen. Was muss ein guter Unternehmer tun, um ein gutes Produkt auch langfristig erfolgreich verkaufen zu können?

KPIs – Key Performance Indicators – zeigen dir als Unternehmer, ob du zu schnell in der Kurve bist, sie sagen dir, ob dein Schiff stabil fährt, ob es Schlagseite hat, oder ob es gerade sinkt. Wer keine KPIs hat, merkt nicht, in welcher Phasen er ist. Diese Phasen sind: Restrukturierung, Konsolidierung, Wachstum. Die Schlüsselkennzahlen sind die Vitalwerte eines Unternehmens. Ein Prozent Abweichung bei der KPIs kann schon eine Katastrophe sein. Diese Kennzahlen sind nicht nur für die Gegenwart und Vergangenheit wichtig, sie sind auch zukunftsbezogen. Sie sind der Puls des Unternehmens, deshalb muss der Wert stimmen. KPIs können zum Beispiel die Anzahl der abgebrochenen Warenkörbe beim Onlinehandel anzeigen. Wenn es zum Beispiel mehr als fünf Prozent sind, haben wir ein Problem. Kunden haben viele Gründe, einen Kauf abzubrechen, ein Unternehmer muss herausfinden, welche das sind.

Welche KPI sind deiner Erfahrung nach die wichtigsten?

Es gibt fünf KPIs, die sollte jeder Unternehmer beachten und seine Mitarbeiter daran teilhaben lassen. Der Umsatz: Dies ist nicht nur eine mathematische Zahl, der Umsatz zeigt mir auch: Ist das Produkt begehrt? Wenn ein Bäcker 500 Brötchen verkauft, und ein paar Häuser weiter ein anderer Bäcker 1.000 verkauft, ist das nicht nur eine Frage des Umsatzes, sondern die Frage muss lauten: Warum verkauft der andere Bäcker mehr? Gründe gibt es viele, zum Beispiel Parkplätze vor der Tür. Der zweite Wert ist: Was bleibt vom Umsatz übrig? Wie hoch ist der Gewinn? Der dritte Wert ist die Kundennachfrage. Sind es mehr oder weniger Kunden geworden? Wie hoch ist die Verlustrate? Wenn statt 1.000 Kunden nur 980 Kunden Brötchen kaufen, ist das alarmierend. Und dann kommt die Neukunden-Quote. Ohne neue Kunden gibt es keinen neuen Umsatz, dann wirst du mit deinen alten Kunden sterben! Gute Unternehmen entwickeln sich mit ihren Kunden und schaffen es auch, neue Kunden zu gewinnen.

Gibt es ein Beispiel für ein Unternehmen, das den Wechsel seiner Strategie und die Anpassung geschafft hat?

Mannesmann war zum Beispiel mal ein Industrieröhrenhersteller. Das Unternehmen hat beizeiten diversifiziert und dann das Unternehmen D2 gegründet, was heute Vodafone ist. Das hat funktioniert. Ein anderes Beispiel ist Studiosus. Das ist kein klassischer Reiseanbieter, sondern Bildungsanbieter auf einer Reise. Der einstige Gründer hat mal selbst Studienreisen gemacht und hierfür Reisen von A nach B organisiert. Das Unternehmen bietet jetzt keine Reisen von A nach B mehr an, sondern es wirbt damit, Brücken zu einer besseren Völkerverständigung zu schlagen. Bei ihnen bucht niemand, der nach Mallorca zum Ballermann möchte, sondern Leute, die auf Reisen Bildung haben wollen. Das war eine der größten Transformationen. Das Unternehmen verkauft kein physisches Produkt, sondern einen Mehrwert und zwar sehr gelungen.

Steve Jobs hat mit dem iPhone auch kein Telefon auf den Markt gebracht. Du kannst alles Mögliche damit machen, Fotos und Videos aufnehmen, Musik mit dir herumtragen. Apple hat damit die damals starke Konkurrenz wie Nokia und Blackberry, die eigentlich satt im Geschäft waren, ausgestochen.

Die größte Transformation, die stattgefunden hat, war die der Schweizer Uhrenindustrie. In den 70er Jahren wollte keiner mehr mechanische Uhren haben. Sie waren antiquiert, nur Zigarrenraucher haben diese Uhren getragen. Wer hat die Branche gerettet? Nicolas Hayek, der Gründer von Swatch. Er hat eine Uhr komplett anders definiert. Swatch wurde eine Mode-Ikone und Swatch wurde elektronisch. Nicolas Hayek wollte die Branche nicht aufgeben, hat gekämpft und die Schweizer Uhrenindustrie gerettet. Er hat aus einer Vision eine Mission entwickelt. Jetzt wollen wieder alle mechanische Vintage-Uhren haben, und Unternehmen wie Rolex oder Philipp Patek sind jetzt kraftvoller denn je. Jeder Unternehmer muss sich darüber im Klaren sein, was er verkauft. Und er muss seine KPIs messen, weil sie die Vitalwerte des Unternehmens sind. Die KPIs sagen, ob es dem Unternehmen gut geht, ob das Geld knapp wird oder ob Geld gebraucht wird.

Welche Mentalität haben deutsche Unternehmer beim Krisenmanagement?

Das kann man pauschal nicht sagen. Es liegt am Unternehmer selbst, ist er mutig und schnell? Denkt er statisch oder dynamisch? Nehmen wir die Modebranche. Hier waren die italienischen und französischen Hersteller schon immer vorneweg, und in Deutschland gibt ja keine großen Hersteller mehr. Aber es gab Marken, die mal ganz oben mitgespielt haben, wie Strenesse und Escada, die in der gleichen Liga gespielt haben wie Burberry. Es gibt Strenesse und Escada nicht mehr, Burberry hat den Turnaround geschafft. Deutsche Marken sind nicht so dafür bekannt, um die Ecke zu denken. Siemens zum Beispiel hat das Faxen erfunden, groß gemacht haben es dann aber die Japaner.

Aber es gibt einige Hoffnungsschimmer, nämlich die Unternehmer, die ihre KPI kennen. Wolfgang Grupp zum Beispiel. Der Anteil seiner Verwaltungskosten beträgt nur 3,5 Prozent. Er gehört zu denen, für den eine Abweichung von einem Prozent eine Katastrophe ist. Man muss sich den Cashflow, den die KPIs ja anzeigen, jeden Tag anschauen. Wenn ich sehe, dass weniger Kunden meine Brötchen kaufen, muss ich herausfinden, warum. Arbeiten mit KPIs ist ein sauberes, diszipliniertes und handwerkliches Arbeiten. Und es bedarf kognitiven Denkens. Kognition ist die Fähigkeit, aus Erkenntnissen Handlungen abzuleiten, und darum geht es. Und man muss vorausschauen. Wenn ich zum Beispiel Autohersteller wäre, hätte ich schon vor fünf Jahren angefangen, mir Gedanken über die Zukunft zu machen. Ich habe zum Beispiel erwachsene Kinder und weiß, dass diese jungen Menschen in den Großstädten heute kein Auto mehr besitzen wollen. Die denken heute in anderen Kategorien, es geht ihnen einfach um Mobilität. Und dafür wollen sie Alternativen wie Nahverkehr oder andere Konzepte.

MK

Info: Ulvi Aydin ist Executive Interim Manager, Beirat, Unternehmens- und Unternehmer-Entwickler, XING-Insider und Buchautor. Er unterstützt mittelständische Unternehmen und Konzerne bei Marken- und Marktentwicklung, Neupositionierung, Restrukturierung und Vertriebsexzellenz.

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