Wirtschaft

Reindustrialisierung: Deutschland profitiert wie kein zweites OECD-Land

4 Min.

17.10.2014

Die Re-industrialisierung der USA entwickelt sich zu einem Konjunkturmotor für die deutsche Wirtschaft. In einer Modellrechnung für die Studie „Go West! Wie Unternehmen von der Reindustrialisierung der USA profitieren können“ kommt die internationale Managementberatung Bain & Company zu folgendem Ergebnis: Die traditionell starke Stellung deutscher Industrieunternehmen in Branchen wie dem Maschinen- und Anlagenbau zahlt sich in den kommenden Jahren beim Export in die USA besonders aus. Der Erfolg in diesem Markt ist aber kein Selbstläufer. Die Unternehmen müssen ihre Organisationen zügig auf die zu erwartende rapide Expansion vorbereiten.
  • Bis 2017 wachsen deutsche Exporte in die USA um 28 Prozent
  • Deutsche Exportstruktur kommt dem Bedarf von US-Unternehmen bei Aufbau und Modernisierung der Fertigung entgegen
  • Preiswerte Energie und niedrige Löhne locken Firmen in die Vereinigten Staaten
  • Direktinvestitionen in den USA steigen bis 2017 um 50 Prozent
  • Einseitige Produktionsverlagerung in Schwellen- und Niedriglohnländer hat Höhepunkt überschritten
Geringe Energiekosten, günstige Löhne, eine wachsende Bevölkerung, eine moderne Infrastruktur und umfassendes IT-Know-how sind die Schlüsselfaktoren für den Wiederaufstieg der Industrie in den Vereinigten Staaten. Seit 2008 drittelte sich der Preis für Erdgas nahezu, dank der Erschließung neuer Energiereserven. Mahner warnen vor diesem Hintergrund bereits vor einem Auszehrungsprozess des Industriestandorts Deutschland. Doch das Gegenteil ist der Fall: Kein anderes OECD-Land zieht größere Vorteile aus der Renaissance der Fertigung in den USA und der Rückkehr produzierender Betriebe in die größte Volkswirtschaft der Welt.
Vereinigte Staaten werden zur Lokomotive für die deutsche Wirtschaft

Der Wiederaufstieg der Industrie in den USA eröffnet enorme Chancen für exportorientierte Unternehmen. US-Firmen benötigen Maschinen und Anlagen, Ingenieurleistungen, Software sowie Zulieferteile für den Aufbau und die Modernisierung ihrer Produktionsstätten. Insgesamt legen die Importe der USA bis zum Jahr 2017 laut Bain-Studie um 15 Prozent zu. Von allen OECD-Staaten profitiert dank seiner Exportstruktur vor allem Deutschland von diesem Nachfrageschub. Die Ausfuhren in die Vereinigten Staaten werden bis 2017 um 28 Prozent oder 29 Milliarden US-Dollar steigen (Abb. 1). Dr. Armin Schmiedeberg, Partner bei Bain & Company und Leiter der europäischen Industrie-Praxisgruppe, betont: „Die USA werden zur Lokomotive der deutschen Wirtschaft und können einen wichtigen Beitrag leisten, um die aktuelle wirtschaftliche Schwäche Europas zu überwinden.“

Die höhere Importnachfrage erreicht zunächst Branchen mit langen Vorlaufzeiten wie Anlagenbau und Zulieferer. Bereits 2013 stieg das Kaufinteresse an Automatisierungstechnik „Made in Germany“ um 43 Prozent. Das günstige Erdgas in den USA treibt in einer zweiten Welle die Nachfrage nach Gasturbinen und Chemieanlagen zur Weiterverarbeitung des Rohstoffs an. Bei Chemieanlagen verfünffachte sich schon 2013 der Auftragseingang auf rund eine Milliarde Euro.

Paradigmenwechsel im globalen Standortwettbewerb

Der Aufbau einer konkurrenzfähigen Industrie in den USA bedeutet einen Paradigmenwechsel im globalen Standortwettbewerb. „Die einseitige Verlagerung von Produktionskapazitäten in Schwellen- und Niedriglohnländer weicht einem globalen Wettbewerb mit Vorteilen für die USA“, erklärt Schmiedeberg. Die Direktinvestitionen in den USA steigen bis 2017 um 50 Prozent. Trotz der Sogwirkung der Vereinigten Staaten kann Deutschland ebenso wie Großbritannien seine Position bei der Verteilung ausländischer Direktinvestitionen weitgehend halten. Andere Länder wie Frankreich oder Italien verlieren dagegen deutlich (Abb. 2).

Industrieexperte Schmiedeberg warnt indes vor voreiliger Euphorie: „Der Erfolg im US-Markt ist kein Selbstläufer. Deutschlands Industrieunternehmen müssen erhebliche Vorleistungen erbringen, um von der Reindustrialisierung wirklich profitieren zu können.“ Die Bain-Studie nennt vier entscheidende Stellhebel: Kapitalallokation, Organisation, Vertrieb und Verwaltung. Im Kern geht es darum, die Unternehmensorganisation auf das zu erwartende Wachstum vorzubereiten und die notwendigen Ressourcen rechtzeitig bereitzustellen. „Immer wieder unterschätzen Unternehmen die Dimensionen und Besonderheiten des US-Markts“, so Schmiedeberg. „Es ist und bleibt ein Kraftakt, sich dort zu behaupten.“ Doch der Aufwand lohnt sich: Die USA bieten in den kommenden Jahren Chancen wie kaum ein zweiter Markt.

Quelle: Bain & Company, Bild depositphotos

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