Deutschland steht kurz vor der Einführung von elektronischen bzw. digitalen Wertpapieren. Ein entsprechender Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde im Rahmen ihrer Blockchain-Strategie bereits ins Parlament eingebracht und dürfte in Kürze von diesem verabschiedet werden (eWpG). Künftig sollen Emittenten von Anleihen und Fondsanteilen auswählen dürfen, ob sie diese konventionell verbriefen oder als elektronisches Wertpapier bzw. elektronischen Anteilsschein begeben wollen. Aktien sind vom Gesetzgeber zum jetzigen Zeitpunkt hingegen (noch) nicht vorgesehen. Auch wenn diese Regelung für den deutschen Markt eine Neuerung darstellt, bleibt sie doch im Angesicht der nur auf ausgewählte Emissionen anwendbaren Digitalisierung hinter anderen Ländern zurück. Frankreich hat seine Wertpapiere schon in den 80er Jahren komplett digitalisiert, Großbritannien speichert sie seit den 90er Jahren vollelektronisch in einer zentralen Datenbank und auch die Schweiz lässt seit 2009 elektronische Bucheffekten zu.
Sofern sich der Emittent einer Anleihe für die Emission als digitales Wertpapier entscheidet, darf er zwischen einer Begebung als sogenanntes Zentralregisterwertpapier oder aber als Kryptowertpapier wählen.
Zentralregisterwertpapier sind elektronische Wertpapiere, die auf Wirkung des Emittenten in Sammel- oder Einzeleintragung in ein zentrales Register aufgenommen werden. Das zentrale Register kann dabei entweder von einer Wertpapiersammelbank (Zentralverwahrer) oder einem Verwahrer (Banken mit Erlaubnis zum Betreiben des Depotgeschäfts) geführt werden. Das Zentralregisterwertpapier wird, analog zum konventionellen Wertpapier, im Effektengiroverkehr verbucht, sofern die registerführende Stelle eine Wertpapiersammelbank ist, die gleichzeitig als Inhaber des Zentralregisterwertpapier in Sammeleintragung im zentralen Register eingetragen ist. In der Praxis dürfte sich daher bezogen auf das Zentralregisterwertpapier nur eine Tatsache entscheidend zum Status Quo ändern: Das verbriefte Wertpapier im Tresor des Zentralverwahrers wird gegen eine digital geführte Datenbank in Form des zentralen Registers substituiert.
Die weitaus größeren Unterschiede zum Status Quo ergeben sich für Kryptowertpapiere als zweitem Typus des elektronischen Wertpapiers. Hier wird die zu emittierende Anleihe auf Veranlassung des Emittenten in ein Kryptowertpapierregister aufgenommen. Das Kryptowertpapierregister muss auf einem fälschungssicheren Aufzeichnungssystem geführt werden, in dem Daten in der Zeitfolge protokolliert und gegen unbefugte Löschung sowie nachträgliche Veränderung geschützt gespeichert werden. Obwohl die Definition des Kryptowertpapierregisters technologisch offengehalten wurde, dürfte dies zum jetzigen Stand der Technik auf die Nutzung einer Distributed-Ledger-Technologie (DLT) hinauslaufen. Auch kommen als registerführende Stelle, anders als beim Zentralregisterwertpapier, nicht nur Wertpapiersammelbanken und Verwahrer infrage. Stattdessen obliegt es dem Emittenten selbst, eine registerführende Stelle zu benennen oder die Registerführung selbst zu übernehmen. Grundsätzlich kann also jede natürliche oder juristische Person die Kryptowertpapierregisterführung übernehmen. Zu beachten ist jedoch, dass diese künftig als Finanzdienstleistung im Sinne des Kreditwesengesetzes (KWG) gelten wird, woraus sich eine Reihe weiterer Pflichten (z. B. Anfangskapital in Höhe von 730.000 Euro) für potenzielle Registerführer ergeben. Auch wenn der Gesetzesentwurf das Vorantreiben der Digitalisierung in Deutschland als Hauptgrund für das neue Gesetz angibt, wird Startups die Teilnahme durch hohe finanziellen und regulatorische Anforderungen wie etwa das erwähnte Anfangskapital erschwert. Das Kryptowertpapier kann, wie auch das Zentralregisterwertpapier, in Sammel- oder Einzeleintragung eingetragen werden. Für die Sammeleintragung kommen als Inhaber des Wertpapiers dabei lediglich Wertpapiersammelbanken und Verwahrer infrage, für die Einzeleintragung wird eine eindeutig identifizierende Eintragung vorgenommen.
Kryptowertpapiere in Sammeleintragung nehmen, anders als von einem Zentralverwahrer verwahrte Zentralregisterwertpapiere, gemäß Gesetzentwurf nicht am Effektengiroverkehr teil. Da für den Handel an einem geregelten Markt, einem multilateralem Handelssystem (MTF) oder einem organisiertem Handelssystem (OTF) gemäß Central Securities Depository Regulation (CSDR) aber eine Einbuchung im Effektengiro erforderlich ist, können Kryptowertpapiere nicht an diesen Handelsplätzen getradet werden. Daraus folgt, dass sie lediglich Over-the-Counter (OTC) oder, abhängig von den Bestimmungen der jeweiligen Börse, in deren Freiverkehr gehandelt werden könnten. Durch die eingeschränkte Handelbarkeit erhöht sich auch die Gefahr, dass Kryptowertpapiere am Grauen Kapitalmarkt emittiert werden, auf dem Transparenz und Anlegerschutz nicht wie auf regulierten Handelsplätzen gewährleistet sind.
Wo und wie der Handel im Sekundärmarkt stattfindet dürfte auch mit dem Führer des Kryptowertpapierregisters zusammenhängen. So liegt es aufgrund der (zu erwarteten) Ausgestaltung des Kryptowertpapierregisters auf Basis einer (permissioned) DLT nahe, auch den Handel über die DLT zu organisieren und interessierte Marktteilnehmer (z.B. Broker) als Knotenpunkt (Node) aufzunehmen. Als Distributed Ledger wird eine dezentrale Datenbank bezeichnet, die Nodes des Netzwerks eine gemeinsame Schreib- und Leseberechtigung erlaubt und bei der ohne eine zentrale Instanz neue Einträge in der Datenbank vorgenommen werden können. Bei Kryptowertpapieren würde das bedeuten, dass auf jedem Node die jeweilige Eigentums- und Transaktionshistorie gespeichert ist. Der Kryptowertpapierregisterführer würde in diesem dezentralen Netzwerk lediglich als Gatekeeper fungieren, der auf Grundlage von ihm aufgestellten Regeln festlegt, welcher Marktteilnehmer sich für die Aufnahme in die permissioned Distributed-Ledger als Node qualifiziert und somit am Handel der Kryptowertpapiere teilnehmen darf. Dabei ermöglicht die DLT mangels Notwendigkeit einer zentralen Instanz wie einer Börse einen direkten Handel zwischen den verschiedenen Knotenpunkten zur Eintragung von Transaktionen in der Datenbank. Dabei würden die Kryptowertpapiere, vereinfacht ausgedrückt, über die Private Keys für die Übertragung freigeschaltet und im Anschluss mittels Public Keys übertragen werden.
Ein Handel von digitalen Wertpapieren über eine Blockchain als zugrundeliegender Technologie, die im Regelfall eine unpermissoned DLT (mit grundsätzlich in der Anzahl unbegrenzten Nodes) darstellt, dürfte in der Praxis aufgrund des rechnerisch deutlich aufwendigeren Konsensverfahrens gegenüber einer permissioned DLT nicht erfolgen.
Während beim Kauf eines verbrieften Wertpapiers Trade und Post-Trade sauber voneinander zu unterscheiden sind, deutet einiges darauf hin, dass der Handel und die Abwicklung beim digitalen Wertpapieren näher aneinanderrücken werden. Das liegt in der Natur der DLT begründet. Der Trade wird durch ein Zustimmungsverfahren innerhalb des Netzwerks abgeschlossen, in welchem anhand der Transaktionshistorie von den Netzwerkteilnehmern und sonstigen Consensus-Mechanismen (z.B. dem Notary Service von Corda) bestätigt werden muss, dass der Verkäufer die benötigen digitalen Wertpapiere und der Käufer ausreichend liquide Mittel für den Trade besitzt. Nach Abschluss dieses Konsensverfahrens würde (ggf. durch Smart Contracts) eine automatische Lieferung der „Stücke“ durch entsprechende Buchungen im Kryptowertpapierregister erfolgen. Die geänderte Transaktionshistorie würde auf allen Nodes automatisch synchronisiert werden. Bei einer Spot-Transaktion wären Clearinghaus und auch Zentralverwahrer dann nicht mehr bzw. nicht mehr im gleichen Ausmaß von Nöten, da durch die enge zeitliche Abfolge zwischen Trading, Settlement und Clearing sowie durch die auf allen Nodes gespeicherte Transaktionshistorie das Kontrahentenrisiko entsprechend mitigiert wird. Anders könnte die Sachlage bei gewissen Termingeschäften sein, in denen zwischen Trade und Abwicklung die Zeitspanne nicht reduziert würde und somit nach wie vor Kredit- und Kontrahentenrisiken bestehen. Auch bei grenzüberschreitenden Geschäften kann die DLT zu einer Vereinfachung bei gleichzeitig erhöhter Sicherheit und verringertem Abstimmaufwand führen.
Erwähnenswert ist auch die kürzlich erfolgreich getestete Abwicklung von DLT-basierten digitalen Wertpapieren in Zentralbankgeld zwischen der Deutschen Börse, der Deutschen Bundesbank, der BaFin und weiteren Marktteilnehmern. Durch eine sogenannte Trigger-Lösung konnten die DLT-basierten Wertpapiere über einen Transaktionskoordinator in TARGET2, dem Zahlungsverkehrssystem des Eurosystems, abgewickelt werden. Mit der erfolgreichen Abwicklung wurde gezeigt, dass auch Distributed-Ledger-Technologien mit dem konventionellen Zahlungsverkehr zusammenarbeiten können und eine Abwicklung in Zentralbankgeld schon vor der Einführung von digitalem Zentralbankgeld (CBDC) möglich ist. Bei dem Test wurde eine Bundesanleihe mit 10-jähriger Laufzeit emittiert, deren Primär- und Sekundärmarkttransaktionen auf der DLT abgewickelt wurden. Diese Form der Abwicklung könnte sich schon relativ kurzfristig durchsetzen, jedenfalls vor der offiziellen Einführung von CBDC. Somit könnten Kostenersparnisse beim Settlement auch schon ohne CBDC realisiert werden.
Bei allen Vorteilen hinsichtlich des Clearings und des Settlements sind auch datenschutzrechtliche Herausforderungen zu bewerkstelligen. Es ist kryptographisch etwa bislang nicht geklärt, wie die auf allen Nodes gespeicherte Transaktionshistorie DSGVO-compliant sein kann.
Des Weiteren ist zu erwarten, dass viele Player im Kampf um die Marktführerschaft ihre eigene DLT-Plattform für digitale Wertpapiere entwickeln werden. Dies birgt das Risiko, dass diese untereinander nicht kompatibel sind und der Markt fragmentiert. Damit träfe das Gegenteil von dem Grundgedanken der DLT ein: die Reduzierung der involvierten Parteien an sich und des Abstimmaufwands unter diesen. Verschiedene Initiativen versuchen derzeit bereits Marktstandards zu setzen (z.B. HyperLedger, R3 Corda).
Darüber hinaus herrscht gerade im regulatorischen Bereich noch viel Ungewissheit. Zwar wird die Verabschiedung des Gesetzes zur Einführung von elektronischen Wertpapieren zeitnah erwartet. Die technischen Details und Anforderungen an Kryptowertpapierregister dürften aber erst in den noch zu erstellenden Rechtsverordnungen konkretisiert werden. Zudem erschweren fehlende Standards (z.B. ISO Standardisierungen), Best Practices und Unsicherheiten beim Einbezug von aktuellen Regularien (wie z.B. Art. 26 MiFIR, MaRisk, BAIT) den Aufbau von Registern.
Kryptowertpapiere sind, wie ihr Name bereits verrät, Wertpapiere im aufsichtsrechtlichen Sinne. Somit fallen sie einerseits unter den Anwendungsbereich der MiFID II, andererseits stellen sie aber auch Finanzinstrumente nach KWG dar. Kryptowerte nach MiCA sind Asset-Referenced Token, E-Money Token, Utility Token und Crypto-Assets im weiteren Sinne. All jene sind ausdrücklich keine Wertpapiere im aufsichtsrechtlichen Sinne und unterfallen somit auch nicht der MiFID II. Crypto-Assets im weiteren Sinne und Utility-Token sind indes Finanzinstrumente nach KWG.
Zu unterscheiden sind zudem Kryptowertpapiere und Security Token. Letztere stellen (digitale) Wertpapiere im aufsichtsrechtlichen Sinne dar und können grundsätzlich durch Eintragung in ein Kryptowertpapierregister in ein Kryptowertpapier umgewandelt werden.
WEPEX Unternehmensberatung
Ein beispielhafter Use Case für das Kryptowertpapier könnte die Emission einer festverzinslichen Anleihe als Commercial Paper sein (unerheblich ob prozent- oder stücknotiert, ggf. auch mit eingebetteten Optionen als Wandelanleihe oder als stücknotiertes Zertifikat). Die (noch) eingeschränkte Fungibilität aufgrund weniger Marktteilnehmer und mangelnder Börsenzulassung von Kryptowertpapieren könnte für den Emittenten insofern von Vorteil sein, dass er eine geringe Handelsaktivität wünscht oder sogar ein Halten des Investors bis zum Auslaufen der Anleihe.
Kryptowertpapiere als Form des digitalen Wertpapiers sind eine spannende neue Form der Geldanlage, da sie sich sowohl hinsichtlich Emission und Verwahrung, als auch im Trade und Post-Trade von verbrieften Wertpapieren unterscheiden können. Kryptowertpapiere auf DLT-Grundlage bieten diverse Vorteile hinsichtlich Tradings, Clearings und Settlements (weniger Intermediäre, verringertes Kontrahentenrisiko, geringe Abwicklungskosten etc.). Dabei gilt es zu beachten, dass alle Vorteile bislang größtenteils theoretischer Natur sind, die sich in der Praxis erst noch bewähren müssen. Denn nur wenn die Emission und der Handel von Kryptowertpapieren rechtssicher ist, wird sich die neue Anlageform durchsetzen. Da Kryptowertpapiere nach dem eWpG nicht auf einem geregelten Markt, sondern nur OTC gehandelt werden können, fehlt Transparenz und Rechtssicherheit im Markt. Es bleibt daher abzuwarten, inwiefern Kryptowertpapiere in der Praxis angenommen werden.
Zudem sind noch einige Herausforderungen zu überwinden (ausstehende konkretisierende Rechtsverordnungen, Datenschutz, Marktfragmentierung) und es bleibt fraglich, ob Startups und kleinere Unternehmen die regulatorischen Hürden des Markteintritts überhaupt bewältigen können. Spannend zu beobachten wird sein, welche konkreten Use Cases sich am Markt etablieren werden und welche Rolle Clearinghäuser und Zentralverwahrer im Hinblick auf DLT und Kryptowertpapiere einnehmen werden. Auch hinsichtlich DLT-Architektur sind noch viele Fragen offen und es bleibt abzuwarten, welche sich letztlich am Markt etablieren wird.
Autoren:
Frank Thole, Partner WEPEX Unternehmensberatung
Svenja Brinkmann, Senior Consultant WEPEX Unternehmensberatung
Amadeus Maximilian Gryger, Consultant WEPEX Unternehmensberatung