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»Vertriebler sind wie Kanarienvögel«

7 Min.

27.02.2024
»Vertriebler sind wie Kanarienvögel«
Vertrieb bringt Umsatz. Dennoch erhält er in vielen Unternehmen nicht den Stellenwert, den er haben müsste. Deshalb ist die Fluktuation in diesem Bereich sehr hoch. Das schadet dem Unternehmen auf verschiedenen Ebenen. Mit einer sinnvollen Struktur und einem vorausschauenden Onboarding können Unternehmen dem vorbeugen. Vertriebsexperte Tobias Epple meint, Vertriebler seien das Frühwarnsystem im Unternehmen, denn wenn diese gehen, stimmt etwas nicht im Kern des Unternehmens. Warum das so ist und wie Unternehmer aus dieser Erkenntnis Nutzen ziehen können, erklärt Epple in unserem Interview.
Herr Epple, wenn der Vertrieb nicht funktioniert, funktioniert das Unternehmen nicht. Wie muss ein Vertrieb heutzutage organisiert sein?

Ich glaube, ein Vertrieb muss heute agiler denn je sein, und das auf allen Ebenen und mit der Betrachtung der verschiedenen Interessensgruppen. Neben der Herausforderung in diesem anspruchsvollen wirtschaftlichen Bereich sind das gesellschaftliche Umfeld und die Herausforderungen für Verkäufer ebenfalls nicht zu unterschätzen.

Ein Vertrieb braucht meiner Meinung nach ein stabiles Vertriebssystem und wiederholbare, strukturierte Prozesse. Diese gilt es über entsprechende Qualifizierungsprogramme und saubere Onboarding-Prozesse von Beginn der Zusammenarbeit zu organisieren. Dies betrifft die gesamte Vertriebskette: von der Leadgenerierung über die Qualifizierung bis hin zu Angebotserstellung, Abschluss und After-Sales-Betreuung. Ein unstrukturiertes Vorgehen wird nachhaltige Auswirkungen auf die Produktivität, die Erfolgsquote des Vertriebes sowie die Erträge haben.

Welche typischen Fehler begehen Unternehmer im Umgang mit ihrem Vertrieb?

Ich erlebe, insbesondere in Krisenzeiten, wie Unternehmer den Druck auf den Vertrieb erhöhen – ungeachtet eigener Fehler in Produkt- oder Marktstrategie. Zudem fordern sie von der Vertriebsführung mehr »Führung« ein und von Verkäufern Reportings und Rückmeldungen, die es davor nicht gab – vom mittleren Management oftmals auch nur, um dem Zweck zu entsprechen und das eigene Tun und Handeln zu dokumentieren, ohne die Mehrwerte für den Vertrieb zu berücksichtigen.

Es gilt, zuzuhören, den Vertrieb ernst zu nehmen und die Impulse, die der Vertrieb ja oftmals direkt vom Kunden ins Unternehmen bringt und trägt, zu prüfen und umzusetzen. In meinem Buch beschreibe ich ein Phänomen: Dass Verkäufer das Unternehmen verlassen, dies dann aber als »Wechsel« wegen Provisionen oder mit einer hohen Umdeutung behandelt wird. Für mich hängt Fluktuation von Verkäufern viel mehr mit den Werten, die sie erfahren oder eben vermissen, zusammen. Verkäufer kommen und gehen, obwohl das Provisionsmodell innerhalb der Branche überall ähnlich ist. Manche sagen: Das sind Vertriebsnomaden, die machen das einfach so in diesem Berufsfeld. Andere sagen: Vertriebler sind undankbar und wollen einfach nur ihr Einkommen steigern. Ich sage: Das Problem liegt tiefer. Diese Verkäufer wechseln, weil sie nicht daran glauben, dass die Firma die Zukunft gestaltet.

Ein befreundeter Vorstandsvorsitzender meinte zu mir: Wenn Verkäufer solche Unternehmen verlassen, ist das ein Frühwarnsignal. Verkäufer, die keine klare Zukunftsvision haben, sind wie Kanarienvögel in einem Minenschacht. Im Bergbau wurden Kanarienvögel früher in Minenschächten gehalten, um die Luftqualität zu überwachen. Wenn die Vögel aufhörten zu singen oder gar tot umfielen, war dies ein Warnsignal für die Minenarbeiter, dass die Luftqualität gefährlich war und sie schnell handeln mussten. Verkäufer in einem Unternehmen ohne klare Zukunftsvision nehmen eine ähnliche Rolle ein: Wenn sie spüren, dass es keine klare Richtung oder Strategie gibt, die das Unternehmen vorantreibt, werden sie unruhig und verlassen das Unternehmen. Sie halten sich nicht lange auf in Unternehmen ohne Werte, denn das Unternehmen liefert ihnen keinen überzeugenden Grund, zu bleiben.

Für mich ist die Lehre daraus, in offenen, klaren Gesprächen sehr frühzeitig die Warnzeichen zu erkennen – für die eigene Unternehmenskultur, für die Produktpalette und die Vertriebsprozesse.

Es ist ja wünschenswert, dass ein Kunde nicht nur einmal ein Produkt oder eine Dienstleistung kauft. Wie kann ein Vertriebsteam die Kundenbindung erhöhen?

Um die Kundenbindung zu steigern, sind individuell zugeschnittene Service- und Beratungsleistungen entscheidend. Wenn ein Vertriebsteam die spezifischen Bedürfnisse und Anforderungen jedes Kunden berücksichtigt und dementsprechend handelt, entsteht eine persönliche Beziehung, die Kunden dazu bewegt, immer wieder zu kaufen und mit jedem Kauf seine Bindung zu erhöhen.

Die Basis, die im Vertrieb oder im Vertriebsinnendienst gelegt werden sollte, besteht ganz besonders aus einem hervorragenden Kundensupport, der schnell und effizient Probleme löst. Er schafft Vertrauen und Kundenzufriedenheit – zwei entscheidende Faktoren für loyale Kundenbeziehungen. Des Weiteren kann das Team die Kundenbindung durch das Angebot von Mehrwerten – wie exklusive Inhalte oder spezialisierte Beratungen, die über das Kernprodukt hinausgehen – verstärken. Loyalitätsprogramme, die Rabatte oder andere Vorteile für wiederholte Käufe bieten, sind ein weiteres effektives Werkzeug, um die Kundenbindung zu erhöhen. Schließlich spielt das Einholen und Umsetzen von Kundenfeedback eine wichtige Rolle. Wenn Kunden sehen, dass ihre Meinungen geschätzt werden und zu konkreten Verbesserungen führen, fühlen sie sich dem Unternehmen verbunden und sind eher geneigt, treu zu bleiben.

An einem bestimmten Punkt ist es wichtig, zu skalieren. Mit welcher Strategie kann man seinen Markt erweitern?

Hierzu bewähren sich die alt bewährten Mittel und Wege, eine tiefgreifende Bestandsanalyse und damit auch Klarheit darüber, wie hoch die eigene Bestands- und Marktdurchdringung ist. Immer wieder erlebe ich die Suche und Erschließung neuer Märkte, ohne die bisherigen tiefgründig analysiert und versorgt zu haben. Insbesondere im B2C-Geschäft haben viele Kundenbestände noch wahnsinnig viel Potenzial. Aber mangelhafte Strukturen und die fehlende Disziplin, diese zu bearbeiten, führt dazu, dass hier relativ einfache Marktchancen nicht genutzt werden.

Das bedeutet aber auch, neben dem eigenen Kunden-Avatar und der strategischen Betrachtung der Customer Journey, dass es notwendig ist, auch den neuen Zielkunden und die neuen Märkte detailliert zu analysieren und entsprechende Marktmaßnahmen darauf zu setzen. Hierbei können auch klassische Tools wie die SWOT Analyse auch im Jahr 2024 noch hilfreich sein.

Die weitere Skalierung wird auch davon abhängig sein, wie stark das Unternehmen darauf achtet, fixe Vertriebsstrukturen und Prozesse in den Verkaufsprozess zu implementieren.

Es gibt landläufig Klischees von Vertrieblern – und nicht immer positiv. Was macht einen guten Vertriebler tatsächlich aus und wie können Unternehmen ihn finden?

Ich glaube, zu jeder Berufsgruppe gibt es Klischees. Ein guter Vertriebler zeichnet sich durch eine Kombination aus Persönlichkeitsmerkmalen, Fähigkeiten und seiner Arbeitsweise aus. Zu den Kernqualitäten gehören Kommunikationsstärke, Empathie und die Fähigkeit, auf Kundenbedürfnisse einzugehen. Außerdem sind Beharrlichkeit und die Fähigkeit, mit Ablehnung umzugehen, entscheidend, ebenso wie Produktwissen, Marktverständnis und die Fähigkeit, komplexe Informationen verständlich zu vermitteln.

Erfüllt eine Person die oben genannten Skills, ist es auch nicht hinderlich, wenn er keine Vertriebsausbildung hat und sich selbst zu einem (Top-)Verkäufer entwickelt. Hierzu ist vor allem ein strukturiertes Boarding und eine strukturierte Ein- und Weiterbildung notwendig. Damit ist auch das Bewerberfeld deutlich größer. Oftmals finden sich gute Verkäufer insbesondere in der Dienstleistung, im Handel oder der Gastronomie. Die Frage für Geschäftsführung und Vertriebsleiter ist für mich eine zentrale: Ziehst du Top-Verkäufer an?

Unser Gesprächspartner: Tobias Epple ist CEO von Epple Consulting, Keynote-Speaker und SPIEGEL Bestseller-Autor.
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